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Glutroter Mond

Glutroter Mond

Titel: Glutroter Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Narcia Kensing
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schlaftrunken aufsetzen, als die Wärme der Decke schlagartig verschwindet. Vince lässt es sich nicht nehmen, mit einem Schlachtruf auf sie zuzustürmen, um sich bloß nicht um das Vergnügen zu bringen, Angst und Schrecken zu verbreiten. Ehe die Frau begreifen kann, was passiert, ist das jüngere der beiden Kinder bereits geflüchtet. Es rennt mit einem spitzen Kreischen auf eine Metalltreppe zu, die in die Galerie der oberen Etage führt. Niemand stellt dem kleinen Jungen nach, den ich auf sechs oder sieben Jahre schätze. Das andere Kind ist älter, vielleicht dreizehn, ein Mädchen. Die Mutter schlingt ihre Arme um die Kleine, den Mund weit geöffnet, die Augen aufgerissen. Ich kann ihre Angst durch die gesamte Halle riechen, auch sehe ich im Halbdunkel, wie stark sie zittert. Ob sie weiß, wer wir sind und was wir vorhaben? Möglich. Unsere vergangenen Jagdausflüge sind sicherlich nicht unbemerkt geblieben.
    Ich verspüre keine Lust, mich aktiv an der Jagd zu beteiligen, und so begnüge ich mich damit, den Ausgang zu sichern. Das wäre freilich nicht nötig gewesen, denn Layton packt sich mit einem Griff sowohl das Mädchen als auch die Frau. Das Mädchen wirft er sich über die Schulter, die Frau übergibt er an Vince. Sie schreit, ein Geräusch, das in meinen Ohren schmerzt. Sienna schlägt ihr daraufhin ins Gesicht. Das Mädchen wehrt sich gar nicht, sie ist starr vor Schreck. Ich wende mich ab. Sollen die anderen tun, was sie für richtig halten. Zum Glück spricht mich niemand auf meine Apathie an, als wir die Halle mit unserer Beute verlassen. Ein schneller und effektiver Raubzug. Wahrscheinlich ist Vince sogar enttäuscht über so wenig Gegenwehr. Er spielt gerne mit seinen Opfern, lässt es manchmal sogar so aussehen, als ließe er sich verjagen oder verprügeln, nur, um den Menschen dann ihre Hoffnung zu nehmen. Die meisten Menschen wissen nicht, dass man einen Acrai mit Wasser ganz einfach in Schach halten kann. Sogar Messerstiche verpacken wir in der Regel gut, sofern sie nicht direkt ins Herz gehen. Unbewaffnete Menschen sind hingegen immer chancenlos.
    Bevor ich aus der Tür heraustrete, lasse ich meinen Blick noch einmal über die Galerie schweifen. Von dem kleinen Jungen fehlt jede Spur. Gut so. Ich spreche niemanden darauf an, dass er entwischt ist.
    Der Kofferraum unseres SUVs ist groß. Es ist nicht das erste Mal, dass wir Menschen dort hineinzwängen. Doch nie ist es mir so barbarisch vorgekommen wie dieses Mal. Die ganze Fahrt über höre ich dumpfe Schreie und Poltern aus dem Kofferraum. Die anderen stören sich nicht daran, sie scherzen und verhalten sich, als sei nichts vorgefallen.
    Als wir nach einer schier endlos langen Fahrt endlich aussteigen und Sienna die Frau an den langen dunklen Haaren aus dem Auto zerrt, möchte ich nur noch eines: so schnell wie möglich zu Holly zurück und dem Irrsinn entfliehen. Doch mein Plan wird vereitelt. Sienna schubst unsere Gefangene unsanft in meine Arme. Vince wirft sich das Mädchen wieder über die Schulter. Diesmal tritt sie mit den Beinen und schlägt mit ihren kleinen Fäusten gegen seinen Rücken, aber der hünenhafte Acrai lässt sich davon gar nicht beeindrucken.
    Ich halte die Mutter des Mädchens widerwillig an den Oberarmen fest. »Shelly, Shelly!«, kreischt sie immer wieder. Es geht mir durch Mark und Bein. Ihre Rufe werden von ihrer Tochter mit einem sich zu einem Singsang steigernden
Mama, Mama
untermalt. Vince geht darüber hinweg, als läge nichts als ein Mehlsack über seiner Schulter.
    »Bring die Mutter in die Zelle des Jungen. Der Raum wird ohnehin bald frei.« Sienna wendet sich an Layton. »Er sollte doch beseitigt werden, nicht wahr?«
    »Ja, wenn Cade sich dazu bereit erklärt, ihn aufzugeben. Er wollte es noch einmal probieren.« Mir entgeht sein vorwurfsvoller Seitenblick nicht.
    »Ich bringe sie in seine Zelle«, knurre ich und stoße die Frau vor mir her in den Eingang zur Höhle. Inzwischen ist mir alles egal. Vielleicht beruhigt sich die Dame wieder, wenn sie Gesellschaft hat. Zum Glück sind die Wände und Türen der Zellen schalldicht. Dann muss ich mir die Schreie nicht mehr länger anhören. Inzwischen ist sie dazu übergegangen, nicht nur nach ihrer Tochter Shelly zu rufen, sondern auch Fragen zu Stellen.
Was macht ihr mit mir? Wo bringt ihr mich hin? Wo ist mein Sohn? Lasst mich zu meiner Tochter
, bla bla bla.
    Vince bringt das Mädchen in eine Zelle direkt am Anfang des Flurs, ich gehe noch ein Stück weiter.

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