Glutroter Mond
aber freiwillig etwas von mir geben kann. Und dass Cade jetzt anders ist als zuvor, ist auch für mich ein Wunder, das ich kaum glauben kann.
Ich lege meine Hand auf sein Knie. »Neal, lass uns nicht darüber streiten. Cade wird uns beide hier heraus bringen. Er bringt uns zurück in die Stadt. Dort können wir uns gemeinsam verstecken.«
Ein undeutbares Lächeln huscht über sein Gesicht. So flüchtig, dass ich nicht weiß, ob ich es mir nur eingebildet habe. »Du wirst ihn freiwillig verlassen?«
Herrje, weshalb bohrt er nur ständig weiter nach! »Was bleibt mir denn anderes übrig?«
»Aha! Also tust du es nicht gerne. Du gibst also zu, etwas für ihn zu empfinden?«
Allmählich steigt Wut in mir auf. Trotzige Wut. »Und wenn schon! Hör auf, mich für etwas zu verurteilen, was du nicht verstehst.«
Neal greift nach meiner Hand und zieht mich mit einem Ruck näher zu sich heran. Ich bin so erschrocken, dass ich es geschehen lasse. »Ich soll
was
nicht verstehen? Wie es sich anfühlt, jemanden zu lieben? Holly, bist du eigentlich blind?!«
Weil ich mir nicht anders zu helfen weiß, springe ich von der Matratze auf und entferne mich zwei Schritte von ihm. Alles in mir schreit nach Flucht. Es ist mir zutiefst unangenehm, dass er so mit mir spricht. Natürlich habe ich immer gewusst, dass ich für ihn mehr bin als nur eine gute Freundin. Ich habe mich immer vor dem Tag gefürchtet, wenn er mich so brutal vor die Wahl stellen würde.
»Müssen wir das wirklich jetzt diskutieren?« Jetzt steigt mir doch eine Träne ins Auge. Ich schäme mich dafür. »Ich habe Cade gebeten, dich hierher zu holen, weil ich gerne von dir wissen wollte, wo du die letzten Tage gewesen bist und ob es dir gut geht. Ich habe mir Sorgen gemacht.«
»Ich lebe zumindest noch. Das weißt du ja nun. Es gibt nicht viel darüber zu berichten, wo ich gewesen bin. Die Obersten haben mich einfach stehen lassen. Keine Ahnung, weshalb.«
»Nachdem sie dich eingekleidet haben?«
Neal zuckt nur die Achseln. »Mir ist inzwischen alles egal.« Seine Augen verengen sich zu Schlitzen. Er funkelt mich bösartig an, was ich von ihm überhaupt nicht gewohnt bin. »Vielleicht solltest du jedoch noch etwas wissen, ehe du dich dazu entschließt, ein Monster zu lieben. Cade hat bereits eine andere.«
Im ersten Moment durchfährt mich ein Stich, der sich dann aber schnell in Unglauben und Wut verwandelt. »Das denkst du dir doch nur aus, weil du eifersüchtig bist.« Ich verschränke die Arme vor der Brust.
»Ach ja? Dann sprich ihn doch darauf an. Frag ihn, wer Maureen ist. An seiner Reaktion wirst du sofort erkennen, dass ich recht habe.«
Es fühlt sich an, als würde mein ganzes Blut nach unten sacken. Einen Moment lang wird mir schwindlig. »Woher willst du das wissen?«
»Weil ich sie darüber reden gehört habe. Das Mädel ist sogar schon hier. Die beiden sind nämlich einander versprochen. Komisch, dass Monster Partnerschaften eingehen. Ich bin mir sicher, Cade hat dir gegenüber nichts von ihr erwähnt. Er ist kalt, Holly. Du verschwendest deine Gefühle an ihn. Er hat nämlich keine.«
Mir klappt der Unterkiefer herunter. Ich möchte etwas sagen, aber ich öffne und schließe den Mund bloß wie eine Schwachsinnige. Ich kann das nicht glauben. Und noch weniger kann ich glauben, dass Neal sich mir gegenüber so aggressiv verhält. Ich habe Kraft und Trost bei ihm gesucht, und er stößt mir nur vor den Kopf. Ich stehe vor der schwierigsten Entscheidung meines Lebens, und er hat mir noch mehr Steine in den Weg gelegt. Wie kann er es wagen, mich so zu verletzen? Hätte er nicht einfach den Mund halten können?
In diesem Moment öffnet sich die Tür erneut, und ich bin dankbar dafür. Cade erscheint auf der Schwelle. Wortlos greift er wieder nach Neals Arm und zerrt ihn hinaus auf den Gang. Ich bleibe perplex und verletzt zurück.
Kapitel sechzehn
Cade
»Weißt du, ob der Lincoln Tunnel noch passierbar ist?«, frage ich an Vince gewandt, der neben mir auf dem Beifahrersitz ein verächtliches Schnauben ausstößt.
»Weshalb willst du das wissen? Hast du etwa vor, heute in Manhattan auf die Jagd zu gehen? Ein bisschen zu riskant, oder?« Er lacht, aber bei ihm klingt es eher wie hämisches Grunzen. »Oder willst du wieder ins
Cave
, ein bisschen dealen?«
Wenn ich mich nicht hätte auf die Straße konzentrieren müssen, hätte ich ihm ins Gesicht geschlagen. Aber ich zwinge mich zur Ruhe.
»Nein, ich wollte es nur wissen«, presse ich
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