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Gnadenfrist

Titel: Gnadenfrist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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aktiv zu werden. Wir haben noch achtundvierzig Stunden.« »Vergessen Sie’s.«
    Sharon starrte ihn an. »Was meinen Sie mit vergessen? Sie waren doch die ganze Zeit einer Meinung mit mir.« »Ich sagte, vergessen Sie’s. Nachdem die Gouverneurin ihre Entscheidung getroffen hatte, rief sie den Alten höchstpersönlich an und gab ihm Zunder. Wir würden die Sache absichtlich hochspielen, um unsere Auflage zu steigern. Sie sagte, daß auch sie nichts von der Todesstrafe halte, daß sie jedoch nicht das Recht habe, gegen das Urteil des Gerichts zu intervenieren, sofern ihr nicht neues Beweismaterial vorliege. Sie sagte, wenn wir eine Kampagne für eine Verfassungsänderung starten wollten, okay, dann würde sie uns bei jedem Schritt unterstützen. Sie jedoch zu zwingen, in einem besonderen Fall einzugreifen, liefe auf den Versuch hinaus, das Recht je nach Lust und Laune anzuwenden. Der Alte mußte ihr schließlich beipflichten.«
    Sharon fühlte, wie sich ihr Magen verkrampfte, als hätte ihr jemand dagegen getreten. Einen Augenblick lang fürchtete sie, ihr könnte übel werden. Sie preßte die Lippen zusammen und versuchte zu schlucken, um das würgende Gefühl in ihrem Hals loszuwerden. Der Redakteur schaute sie an. »Fühlen Sie sich nicht wohl, Sharon? Sie sehen ziemlich blaß aus.«
    Sie schaffte es, den aufkommenden Brechreiz zurückzudrängen. »Es ist nichts.«
    »Ich kann über diese Sitzung morgen jemand anderen berichten lassen. Sie sollten sich lieber ein paar Tage frei nehmen.«
    »Nein.« Die gesetzgebende Körperschaft von Massachusetts beriet über die Abschaffung der Todesstrafe in ihrem Staat, und Sharon beabsichtigte, dabeizusein.
    »Wie Sie wollen. Geben Sie Ihre Kolumne ab, und gehen Sie nach Hause.« Seine Stimme bekam einen wärmeren Klang. »Es tut mir leid, Sharon. Bis eine Verfassungsänderung durchkommt, können Jahre vergehen, und ich dachte, wenn wir Gouverneur Greene dazu bekommen würden, als erste ein Todesurteil abzuändern, könnte das gleiche Verfahren von Fall zu Fall quer durch das ganze Land angewendet werden. Aber ich kann den Standpunkt der Gouverneurin verstehen.«
    »Für mich heißt das, daß man in Zukunft nur noch auf abstrakter Ebene gegen legalisierten Mord protestieren wird«, sagte Sharon. Ohne seine Reaktion abzuwarten, erhob sie sich brüsk und verließ das Zimmer. An ihrem Schreibtisch nahm sie aus dem Reißverschlußfach ihrer übergroßen Schultertasche die gefalteten Seiten ihres getippten Manuskripts, an dem sie fast die ganze Nacht gearbeitet hatte. Sorgsam riß sie die Seiten erst in Hälften, dann in Viertel, schließlich in Achtel und sah zu, wie sie in den ramponierten Papierkorb neben ihrem Schreibtisch flatterten.
    Dann spannte sie einen frischen Bogen in die Maschine und begann zu schreiben. »Wieder einmal schickt sich die Gesellschaft an, ihr erst vor kurzem neu erworbenes Vorrecht auszuüben: das Recht zu töten. Vor fast vierhundert Jahren schrieb der französische Philosoph Montaigne: >Der Abscheu vor einem Menschen, der einen anderen getötet hat, macht mir Angst vor der Abscheulichkeit, ihn zu töten. <
    Wenn Sie der Meinung sind, daß die Todesstrafe verfassungsmäßig abgeschafften werden sollte…«
    Sie schrieb zwei Stunden lang, ohne aufzublicken; strich einzelne Absätze zusammen, schob da und dort einen Satz ein, überarbeitete das Ganze. Als sie den Artikel fertig hatte, schrieb sie ihn rasch noch einmal ab, reichte ihn bei der Redaktion ein, verließ das Gebäude und winkte sich ein Taxi heran. »95. Straße kurz vor Central Park West, bitte«, sagte sie.

    Das Taxi bog in nördlicher Richtung in die Avenue of the Americas und fuhr am südlichen Ende in den Central Park hinein. Trübsinnig schaute Sharon in das wiedereinsetzende Schneegestöber und beobachtete, wie sich die Flocken über den Rasen breiteten. Wenn es so weiterschneite, würden die Kinder hier morgen rodeln.
    Erst letzten Monat hatte Steve seine Schlittschuhe mitgebracht, und sie waren bei Wollman Rink Schlittschuh gelaufen. Neil hätte auch mitkommen sollen. Sharon hatte geplant, daß sie nach dem Schlittschuhlaufen in den Zoo gehen und anschließend in der Taverne an der großen Parkwiese zusammen essen würden. Aber Neil hatte in letzter Minute behauptet, er fühle sich nicht wohl und war zu Hause geblieben. Er mochte sie nicht; das war offensichtlich. »Okay, Miß.«
    »Wie bitte? Oh, Verzeihung.« Sie bogen in die 95. Straße ein. »Das dritte Haus links.« Sie wohnte

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