Gnadenfrist
Zustand niemand merken kann, von einem angeheiterten Bräutigam ganz zu schweigen). Unterwegs entzündete er die Fackeln für die Brautprozession. Jemand versorgte ihn mit Feuer und Wasser, damit er Lenia in seinem Heim den Regeln entsprechend begrüßen konnte. Smaractus kam so weit zu sich, daß er lauthals brüllte, seinetwegen könne sie zum Hades gehen. Lenia war zum Glück aufs Klo gegangen, sonst hätte die Scheidung noch am gleichen Tag unterzeichnet werden können.
Wir sorgten dafür, daß die Brautprozession kurz ausfiel. Das schien angebracht, weil die Braut inzwischen selbst betrunken und in Tränen aufgelöst war. Da sie keine eigene Mutter hatte, aus deren Armen sie protestierend entrissen werden konnte, klammerte sich Lenia mit plötzlich aufwallender Erkenntnis ihrer Dämlichkeit statt dessen an Mama. Mama befahl ihr, mit dem Quatsch aufzuhören. Mit herzloser Fröhlichkeit schleppten wir Lenia weg und arrangierten den Zug so, wie es sich gehörte. Marius und der kleine Ancus führten die Braut an den Händen, während ihr Gaius behutsam die Weißdornfackel voraustrug. Ihr Schleier war verrutscht, und sie humpelte, weil in ihrem linken Schuh die traditionelle Münze steckte, die sie ihrem Ehemann bringen mußte. »Als hätte ich ihm nicht schon genug gegeben!«
Die inzwischen einsetzende Dunkelheit verlieh dem Ganzen einen gewissen Zauber. Ein zu diesem Zweck angeheuerter Flötenspieler ging vorweg. Nüsse werfend und brüllend rannten wir die eine Seite der Brunnenpromenade hinauf und tanzten dann über die Nüsse stolpernd unbeholfen wieder zurück. Kinder erwachten und wurden ganz aufgeregt. Leute hingen aus den Fenstern und jubelten uns zu. Die Nacht war still, und die Fackeln flackerten hübsch. Die Luft dieses letzten Oktobertages war kühl genug, uns ein wenig zu ernüchtern.
Wir erreichten die Bäckerei. Nachdem ich die schmale Treppe hochgestolpert war, schloß ich mich der ausgelassenen Gruppe von Helfern an, die die Braut die letzten paar Stufen zu ihrem Hochzeitsgemach hinaufzogen. Smaractus erschien im Türrahmen, auf den Beinen gehalten von einem seiner treuen Freunde. Es gelang ihm, sein traditionelles Wasser- und Fackelgefäß zu umklammern, während sich Lenia Öl aufs Kleid kleckerte, als sie versuchte, den Türrahmen in der althergebrachten Weise einzuölen. Petronius und ich nahmen all unsere Kraft zusammen, verschränkten die Hände unter ihrem Hintern und hievten sie hinein.
Smaractus wurde augenblicklich munter. Er sah Lenia, grinste lüstern und grapschte nach ihr. Doch die war ihm ebenbürtig. Sie stieß einen wollüstigen Schrei aus und stürzte sich auf ihn.
Angewidert drehten Petronius und ich uns um und machten, daß wir rauskamen. Die anderen folgten uns. Die Vorstellung, auf traditionelle Weise bezeugen zu müssen, was in dem Ehebett passierte, war einfach zu grausig. Außerdem wartete der restliche Wein drüben in der Wäscherei.
Singende und johlende Hochzeitsgäste verstopften die Straße. Nur äußerste Zielstrebigkeit (und viel Durst) gaben uns die Kraft, uns durchzudrängen. Wir schafften es bis zum girlandengeschmückten Eingang der Wäscherei. Arria Silvia schrie Petro über das Getöse hinweg zu, sie bringe jetzt die Töchter nach Hause ins Bett. Ob er mitkäme, und natürlich sagte er ja, aber noch nicht gleich. Helena, die müde aussah, erklärte, sie ginge nach oben in die Wohnung. Auch ich versprach meiner Liebsten, ihr »sehr bald« zu folgen – was natürlich ebenso gelogen war.
Irgendwas ließ uns zur anderen Straßenseite hinüber schauen. Lenia stand im Eingang zum ersten Stock und fuchtelte wild mit den Armen. Ihr Schleier flatterte wild, und ihr Hochzeitskleid war halb ausgezogen. Die Menge reagierte mit anzüglichem Geschrei. Lenia brüllte etwas und stürzte wieder hinein.
Es war dunkel. Die Luft war rauchig von den Fackeln. Sofort erschien die aufgeregte Braut wieder im Türrahmen ihres Hochzeitsgemachs. Die Menge hatte sich beruhigt, weil die meisten auf der Suche nach etwas zu trinken waren. Lenia entdeckte Petronius und mich. Kreischend schrie sie uns zu: »Hilfe, Hilfe, ihr Mistkerle! Holt die Vigiles! Das Bett ist zusammengebrochen, und die Wohnung steht in Flammen!«
LXVIII
Gäste, die in der Hoffnung auf die Straße geströmt waren, umsonst beköstigt zu werden, hatten es plötzlich eilig, nach Hause zu kommen, weil sie keine Eimerkette bilden wollten. Andere sahen sich außerstande, uns zu helfen, drückten sich aber trotzdem in
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