Gnadenlos (Sara Cooper)
dem Wohnheim? Wurde er dort gesehen?“
Die Gruppe schüttelte geschlossen den Kopf. „Da ist er auch nicht. Mehr wissen wir nicht.“ Sie gingen weiter.
Cruz wollte gerade nach Todds Handynummer fragen, als sein eigenes Handy klingelte. Es war Miller, sein Boss. Er nahm das Gespräch entgegen und warf den Jungs einen skeptischen Blick hinterher.
Kapitel 28
Downtown, San Diego
Mit einem Becher Kaffee und einem Schoko-Cookie in der Hand eilte Lilly ins Büro. Sie war spät dran. Nach ihrem letzten Männer-Fiasko beschränkte sie sich einstweilen auf Kurzzeit-Liebhaber und einer davon lag jetzt in ihrem Bett. Stewart. Nachdem sich ihr letzter Freund als brutaler Stalker entpuppt hatte, war sie vorsichtig geworden, was neue Beziehungen anbelangte. Stewart kannte sie schon lange, und sie wusste, dass von ihm keine Gefahr ausging. Sie trafen sich ab und an und hatten Spaß. So wie letzte Nacht. Lilly schmunzelte, als sie an die vergangenen Stunden dachte. Lautes Hupen riss sie aus ihren Gedanken. Beinahe wäre sie auf die Straßen gelaufen, ohne den Verkehr zu beachten. Zur Rush Hour schob sich ein beständiger Strom von Pendlern durch die Straßen. Am Revier angekommen balancierte Lilly sich mit ihrem Kaffeebecher und Schoko-Cookie durch die Empfangstür hindurch und fuhr mit dem Aufzug in den dritten Stock. Während die Stockwerksanzeige langsam vorbeizog, nahm Lilly einen Bissen von ihrem Donut und betrachtete sich im Spiegel. Sie hatte ihr eigentlich blondes Haar kastanienbraun getönt und trug es kinnlang, was ihr nach anfänglichen Gewöhnungsproblemen nun richtig gut gefiel. Überhaupt fühlte sie sich gut, benutzte wieder Make-up und achtete auf sich. Zufrieden ließ sie ihren Blick an sich herunterwandern, bis sie bei ihren dreckigen Turnschuhen ankam. Sie musste unbedingt wieder mal shoppen gehen, dachte sie, als sich die Fahrstuhltür öffnete.
„Guten Morgen, Trish“, grüßte sie die Rezeptionistin mit noch vollem Mund.
„Morgen? Es ist fast Mittag, Schätzchen.“ Trish saß direkt am Eingang hinter einer großen Empfangstheke und blickte mit ihrer knallig rotumrandeten Brille zu Lilly auf.
„Neue Brille?“ Trish war der bunte Vogel im Team. Sie war für ihren ausgefallenen Geschmack bekannt, der sich nicht nur an ihren Rasta-Locken zeigte, sondern auch an ihrem etwas gewöhnungsbedürftigen Kleidungstil, den man ohne Umschweife der Goth-Szene zuordnen konnte. In ihrem Verhalten war sie jedoch ausgesprochen ‚öko-lastig’, wie es Lilly gerne nannte.
Trish zog skeptisch eine Augenbraue in die Höhe, als Lilly auf sie zukam. „Du solltest die Treppe nehmen, Lilly. Das ist gesünder. Und Kaffee verstopft die Arterien, wie oft soll ich dir das noch sagen?“, äußerte sie mit einem Unterton, den alle Kollegen regelmäßig abbekamen.
Lilly machte eine wegwerfende Handbewegung und stellte ihren Kaffee vor Trish ab. „Jeder hat seine Laster, meine Liebe. Und Sport ist Mord, das weiß auch jeder. Irgendwelche Nachrichten?“, fragte sie und hantierte mit ihrem Handy.
„Nein, nichts. Und du weißt, dass dich kein Sport der Welt umbringen wird, sondern diese Dinger“, ermahnte sie Lilly erneut und deutete mit ernstem Blick auf das Smartphone.
Lilly kannte die Prozedur. „Ja ja, ich weiß, die Strahlen“, kommentierte sie trocken und zwinkerte Trish zu, während sie zu ihrem Schreibtisch ging.
„Du wirst schon noch sehen“, rief die Rezeptionistin ihr hinterher. „Und von Mülltrennung hast du wohl auch noch nichts gehört.“ Wütend warf Trish den Kaffeebecher in den Abfallkorb, den Lilly auf ihrem Tisch hatte stehen lassen.
Im Department war einiges los, Telefone schrillten, Gesprächsfetzen wehten zu ihr herüber, Kollegen eilten hin und her und irgendwo spuckte ein Drucker Kopien aus. Als Erstes ließ Lilly die Lamellenjalousie herunter, da die Sonne direkt auf ihren Computer schien. Sie setzte sich an ihren Schreibtisch, stellte ihre Thermoskanne vor sich ab und ließ sich gegen die Rückenlehne ihres Bürostuhls fallen. Das Großraumbüro befand sich in einem Seitenflügel des dritten Stocks des Polizeireviers. Eigentlich saß die Sitte in den anliegenden Räumen, aber wegen Platzmangels waren seit ein paar Wochen einige der Kollegen in ihr Großraumbüro ausgewichen, was den Geräuschpegel deutlich anheizte. Lediglich Lieutenant Miller hatte ein eigenes Zimmer, er residierte in einem Glaskasten an der Seite des Großraumbüros. Seine Tür war meistens verschlossen und die
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