Gods and Warriors - Die Insel der Heiligen Toten: Band 1 (German Edition)
zusammen, war aber auf den Beinen, bevor Hylas ihm gegen das Kinn treten konnte. Hylas schwankte. Der andere stieß ihn um, kniete sich auf seine Brust, packte ihn bei den Haaren und schüttelte ihn so heftig, dass seine Zähne klapperten.
»Hylas, hör auf, ich bin’s! Telamon! Dein Freund!«
»Ich kann es einfach nicht glauben, dass du mich nicht erkannt hast«, keuchte Telamon.
»Ich hab’s dir doch erklärt«, schnaufte Hylas. »Mit diesem Ding auf dem Kopf war dein Gesicht nicht zu sehen.«
Sie saßen am Bachufer und benetzten ihre Wunden mit dem kühlen Wasser. Die Pferde waren in der Nähe angebunden und tranken friedlich.
»Entschuldige, dass ich dich geschlagen habe«, murmelte Telamon.
»Entschuldige, dass ich dich fast ertränkt habe«, gab Hylas zurück.
Telamon schnaubte lachend. »Was ist denn mit deinem Arm passiert?«
»Ein Pfeil hat mich erwischt«, erwiderte Hylas. Der provisorische Verband hatte sich gelöst und die Wunde pochte.
»Tut es weh?«, erkundigte sich Telamon.
Hylas spritzte ihm Wasser ins Gesicht. »Was glaubst du wohl?«
Grinsend spritzte Telamon zurück. Dann sprang er auf. »Los, komm. Wir müssen schleunigst verschwinden.« Er hielt es offenbar für abgemacht, dass sie zusammenbleiben würden. Hylas hätte sich gern bedankt, war aber zu verlegen.
Sie waren seit vier Sommern Freunde. Niemand wusste davon, denn Telamons Vater hatte seinem Sohn die Freundschaft mit einem Fremdling verboten. Trotz schwerer Gewissensbisse hatte Telamon das väterliche Verbot missachtet und sich so oft wie möglich zu Hylas und Issi davongeschlichen.
Zuerst war Hylas misstrauisch gewesen. Was wollte dieser reiche Junge von ihm? Es hatte eine Weile gedauert, bis er begriffen hatte, dass Telamon schlichtweg seine Freundschaft wollte. Sie waren sehr verschieden, aber vielleicht verstanden sie sich gerade deshalb so gut. Wenn Telamon eine Entscheidung treffen musste, wog er das Für und Wider sorgfältig ab, während Hylas schnell überlegte und noch schneller handelte. Anders hätte er als Fremdling nicht überlebt. Telamon richtete sich nach dem Ehrenkodex der Krieger, über den sich Hylas lustig machte, obwohl er insgeheim davon fasziniert war. Vor allem jedoch hatte Telamon einen Vater, den er liebte und verehrte. Hylas konnte sich nicht einmal vorstellen, wie das war. Er kannte seinen eigenen Vater nicht und hatte noch niemals Verehrung für jemanden empfunden.
Niemand ahnte von ihrer Freundschaft – abgesehen von Issi natürlich, die Telamon anhimmelte. Gemeinsam hatten sie ihr erstes Floß gebaut und schwimmen gelernt. Telamon hatte Hylas vor einem wütenden Stier gerettet, und Hylas hatte seinen Freund aus der Höhle einer gereizten Löwin gezogen. Telamon war ein Jahr älter und größer, weil er mehr Fleisch zu essen bekam, aber Hylas kannte bedeutend mehr Kampftricks. Telamon fand es schrecklich, dass Hylas stahl, denn Stehlen war unehrenhaft. Trotzdem verriet er ihn nicht und ließ ihn niemals im Stich.
Als Hylas Telamon beobachtete, der seinen Wagen auf Schäden überprüfte, bemerkte er aufs Neue, wie unüberbrückbar die Kluft zwischen ihnen war.
Sein Freund war der Sohn des Stammesfürsten, das war auf den ersten Blick zu erkennen. Seine Tunika war an Saum und Ärmeln mit scharlachroten Streifen geschmückt und die Stiefel, die bis zur Wade reichten, glänzten, genau wie die Scheide an seinem Gürtel und das kostbare Steinmesser. Telamons langes, dunkles Haar war nach Kriegerart geflochten, kleine Tonscheiben an den Zopfenden verhinderten, dass die Zöpfe sich lösten. Am Handgelenk trug er seinen Siegelstein aus rotem Jaspis, und die kunstvolle Schnitzerei darauf zeigte einen Eber mit aufgestellten Rückenborsten. Sein Vater hatte ihm den Stein im Frühjahr geschenkt, als er dreizehn Jahre alt geworden war und an der Jagd teilnehmen durfte. Um seinen Helm anzufertigen, musste Telamon genügend Stoßzähne erbeuten und zwölf Eber erlegen. Bisher hatte er erst ein Tier zur Strecke gebracht, aber Hylas hatte ihm nicht helfen dürfen. Ein echter Krieger war dazu verpflichtet, die Tiere eigenhändig zu erlegen.
»Was hat das eigentlich alles zu bedeuten, Telamon?«, fragte Hylas unvermittelt. »Warum sind die Krähen hinter Fremdlingen her?«
»Die Krähen?«, fragte Telamon verdutzt.
»Die Angreifer, die Schwarzen Krieger! Warum sind sie ausschließlich hinter Fremdlingen her?«
Telamon runzelte die Stirn. »Das weiß ich nicht. Sobald ich von den Angriffen gehört habe,
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