Godspeed Bd. 1 - Die Reise beginnt
Störungen. Er mag nichts, das anders ist. Er sagt, dass Andersartigkeit die erste Ursache für Unfrieden ist.«
»Für wen hält der sich?«, murmelt Amy und springt von ihrem Platz am Fenster auf. Sie dreht ihre Haare zu einem Knoten hoch und steckt ihn mit zwei von Harleys Pinseln fest, die sie sich vom Tisch schnappt.
Ich sehe verschiedene Bilder vor mir: der Älteste auf dem Versorgerdeck, wie er den Bauern und Arbeitern sein nettes Großvater-Gesicht zeigt und wie er dann mit mir aufs Regentendeck hochfährt und wütet, wie sehr ihre Dummheit ihn anwidert. Der Älteste, wie er mir einhämmert, dass Kontrolle das Wichtigste ist. Mir wird klar, dass dieser Mann, der über das gesamte Schiff herrscht, der die absolute Kontrolle über alle Menschen an Bord hat … dass dieser Mann tatsächlich in der Lage ist, jeden zu töten, den er töten will und wann er will. Er hätte es tun können. »Aber wieso sollte er?«, frage ich.
»Keine Ahnung. Und – wieso ich? Ich bin nicht wichtig. Wieso sollte er mich töten wollen?«
Harleys Pinsel hält mitten in der Luft inne. Unser Schweigen erfüllt den kleinen Raum.
»Du warst nicht die Einzige«, sage ich und meine Worte durchdringen die Stille. »Ein Mann wurde getötet. Da habe ich die Luke gesehen – ich habe Doc und dem Ältesten geholfen, ihn zu den Sternen zu schicken.«
»Wer?«, haucht Amy mit entsetzter Stimme.
»Mr William Robertson.«
»Ich kenne ihn nicht.« Amy klingt erleichtert. Erst da wird mir bewusst, dass sie gefürchtet hatte, dass es ihr Vater gewesen sein könnte, der jetzt tot zwischen den Sternen treibt.
29
Amy
»Wie steht es mit der Sicherheit auf diesem Schiff?«, frage ich Junior. »Habt ihr Cops oder so was an Bord?«
Junior und Harley sehen mich verständnislos an. »Cops?«, fragt Junior.
Ich nicke. »Ihr wisst schon, Polizisten. Cops.« Die beiden kapieren es immer noch nicht. »Leute, deren Aufgabe es ist, Kriminelle zu fangen.«
»Dafür haben wir den Ältesten«, sagt Harley und fängt wieder an zu malen.
Na toll.
»Wir brauchen keine ›Cops‹ wie auf der Sol-Erde«, sagt Junior. Ich brauche einen Moment, um zu begreifen, dass er damit meine Erde meint. »Auf der Sol-Erde gab es mehr Unfrieden, weil es dort viel mehr Unterschiede gab. Auf der Godspeed sind alle gleich, deswegen haben wir diese Probleme nicht.«
Ich protestiere. »Die Probleme auf der Erde lagen nicht daran, dass sich die Leute voneinander unterschieden haben.«
»Sklaverei. Die Kreuzzüge. Völkermord. Bürgerrechtsverletzungen. Apartheid. Unterschiedlichkeit war die Ursache für die meisten von Menschen ausgelösten Katastrophen.«
Ich staune, dennoch kann ich die Makel in der Geschichte meiner Welt nicht wegdiskutieren.
»Du bist ein cleveres Kerlchen«, sagt Harley und zwinkert mir zu. »Junior kriegt mehr Unterricht als wir anderen. Wir haben eigentlich nur die Methoden des Ackerbaus auf der Sol-Erde studiert und ein bisschen Naturwissenschaft. Aber Junior ist der Klügste.«
Junior wird knallrot.
Ich habe keine Zeit für so etwas. »Was wird unternommen, um den Mörder zu finden?«
Und wieder sehen mich die beiden verständnislos an.
»Gibt es eine Wache bei den eingefrorenen Leuten? Untersucht der Älteste das Verbrechen? Gibt es Verdächtige? Habt ihr hier irgendeine Form der Überwachung oder einen Sicherheitsdienst oder sonst was? Was geschieht in dieser Angelegenheit ?« Anscheinend hat keiner der beiden auch nur einen Gedanken daran verschwendet und das macht mich wütend. »Euch ist das ganz egal, stimmt’s? Jemand ist gestorben und ihr lehnt euch nur zurück und denkt nicht weiter drüber nach. Ich dachte, du bist der zukünftige Anführer dieses Schiffs«, schreie ich Junior an. »Und was willst du jetzt tun? Das Ganze ignorieren und hoffen, dass das Problem von selbst verschwindet? Was für ein Anführer!«
»Ich … ich …«, stammelt Junior.
»Ist dir nicht klar, dass meine Eltern da unten sind? Eingefroren in einer kleinen Box? Du warst nicht in dieser Box, als sie abgeschaltet wurde. Du weißt nicht, wie sich das angefühlt hat. Dieser Augenblick, in dem du endlich wach bist und weißt, dass du wach bist, und du möchtest diese Schläuche rausziehen, aber du kannst es nicht , und du willst aus dieser Box raus, aber du kannst es nicht , und du willst atmen . Aber. Du. Kannst es nicht .«
»Okay, okay«, sagt er. »Beruhige dich. Trink etwas Wasser.« Junior nimmt das als Ausrede, meinen leeren Becher im Badezimmer
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