Godspeed Bd. 1 - Die Reise beginnt
legt er den Kopf schief, als würde er horchen.
»Was?«, frage ich.
»Psst«, mahnt Victria.
Ich sehe mich um. Alle im Raum halten den Kopf zur Seite geneigt und scheinen etwas zu hören.
»Ein Ruf an alle«, wispert der Gitarrenspieler. »Das hat der Älteste nicht mehr gemacht, seit unser Junior starb.«
»Psst!« , zischt Victria.
Mein Blick wandert von einem zum nächsten. Jeder auf der Station, Patienten ebenso wie Schwestern, hören gebannt zu.
Es ist irgendwie unheimlich, wie sie alle erstarrt sind, um etwas zu lauschen, das ich nicht hören kann. Um mich herum sind alle still und rühren sich nicht.
»Ein Haufen Scheiße«, sagt Harley abfällig. Alle anderen richten sich auf. In ihren Augen ist wieder Leben.
»Was ist?«, frage ich.
Harley sieht mich an und zum ersten Mal lächelt er dabei nicht.
»Nichts«, sagt er.
Victria murmelt ein Wort, nur eine Silbe, aber ich kann es nicht verstehen.
»Was?«, frage ich gereizt.
Sie sieht mir direkt in die Augen. »Freak.«
»Victria!«, fährt der Gitarrenspieler sie an.
Sie wirbelt zu ihm herum. »Du hast den Ältesten doch gehört! Sie ist ein Freak! Und sie hat uns die ganze Zeit belogen! Behauptet, sie wäre von der Sol-Erde! Erzählt uns von weiten Landstrichen und einem unendlichen Himmel! Sie ist verrückter als wir alle – was glaubst du, wieso der Älteste sie hergeschickt hat? Und dann diese Lügerei !« Sie spuckt das Wort förmlich aus. »Uns vorzumachen, sie hätte die Sol-Erde gesehen! Wie kann sie es wagen? Wie kannst du es wagen!« Sie dreht sich zu mir um und in ihren Augen steht blanker Hass.
»Beruhige dich, Victria. Sie ist zurückgeblieben. Beschränkt. Sie weiß nicht, was sie sagt«, beschwichtigt der Gitarrenspieler.
»Wovon redet ihr?« Ich weiche zurück.
»Erzähl mir nichts von einem Himmel, der niemals endet«, sagt sie drohend. »Erzähl mir nie wieder so etwas. Es gibt keinen Himmel. Nur ein Metalldach.«
Die Härte ihrer Worte lässt mich zurückzucken, aber kurz bevor sie herumwirbelt und den Gang hinunterrennt, sehe ich Tränen in ihren Augen.
»Was geht hier vor?«, frage ich. Alle außer Harley starren mich genauso verächtlich und wütend an, wie Victria es getan hat.
»Komm«, sagt Harley und steht auf. »Gehen wir in dein Zimmer.«
»Wieso? Ich verstehe gar nichts. Was ist los?«
»Komm«, sagt Harley nur und führt mich durch die feindselig starrenden Menschen aus dem Raum.
28
Junior
Als ich aus dem Fahrstuhl komme, wird aus der hitzigen Diskussion sofort Geflüster. Es ist nicht schwer zu erraten, worüber sie geredet haben. Ich lasse sie mit ihrem Geflüster und ihren Lügen allein. Es ist mir egal, was sie denken. Ich will nur wissen, was Amy denkt.
Vor ihrer Tür ist ein brauner Fleck. Die zermatschten Überreste der Blumen, die ich für sie hinterlassen hatte.
Ich klopfe. »Herein«, sagt eine tiefe Männerstimme. Harley. Mein Magen krampft sich zusammen. Ich drücke meinen Finger auf den Türöffner. Die Tür gleitet auf.
Amy sitzt am Fenster und sieht hinaus. Das Licht scheint ihr ins Gesicht, lässt ihr rotgoldenes Haar leuchten und bringt ihre klaren grünen Augen zum Funkeln. Ich starre sie an und kann den Blick einfach nicht von ihr abwenden.
»Schön, nicht?«, sagt Harley. Er hat den Schreibtisch verschoben und seine Tischstaffelei darauf aufgestellt. Auf der kleinen Leinwand hat Harley die Szene bereits mit Kohle vorgezeichnet.
»Malst du nicht mehr den Fisch?«, frage ich und hoffe, dass die beiden meine Verbitterung nicht ebenso wahrnehmen wie ich.
»Nö«, sagt Harley. Er tupft ein bisschen Blau auf Amys gemaltes Gesicht und verpasst ihr einen dunklen Schatten unter die Lippen. »Witzigerweise verwende ich bei ihr fast dieselben Farben wie bei dem Koi. Hey«, sagt er und späht hinter der Leinwand hervor zu Amy, »das ist dein neuer Name. Von nun an bist du mein Kleiner Fisch!«
Amy lacht ausgelassen über ihren neuen Spitznamen, aber ich funkele Harley wütend an, weil er sie als sein Eigentum bezeichnet hat. Es stimmt allerdings, ihre rotgoldenen Haare haben dieselbe Farbe wie die Schuppen von Harleys Koikarpfen.
»So, Kleiner Fisch, achte nicht auf den Jungen und erzähle mir vom Himmel.«
Mein Körper wird ganz starr. Harley nennt mich »Junge«? Ich will ihn schlagen, wirklich schlagen, obwohl er mein bester Freund ist.
»Ich habe die Sterne immer besonders geliebt, schon seit ich klein war und mich meine Eltern ins Observatorium mitgenommen haben.«
Ich weiß zwar
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