Godspeed Bd. 1 - Die Reise beginnt
Heimat nenne.
26
Junior
»Das Mädchen ist im Gemeinschaftsraum der Station und erzählt allen von der Sol-Erde«, flucht der Älteste. »Haben wir ihr nicht gesagt, was passieren wird, wenn sie Ärger macht? Haben wir oder haben wir nicht?«
»Ältester«, sagt Doc beruhigend. »Die Paarungszeit kann jeden Tag beginnen. Dann sind alle zu abgelenkt, um ihr zuzuhören.«
Der Älteste schlägt gegen die nächstbeste Kryo-Kammer. Ich springe zurück, weil ich nicht weiß, gegen was oder wen er als Nächstes schlagen wird.
Der Älteste richtet seinen wütenden Blick auf mich. »Die erste Ursache für Unfrieden?«
»Andersartigkeit«, sage ich.
»Genau. Unfrieden wird diesem Mädchen folgen, wohin sie auch geht – wie eine Schmutzspur, die ein Kind auf dem Fußboden hinterlässt. Und die zweite Ursache ist mangelnde Führung. Junge, wenn Andersartigkeit Unfrieden verursacht, ist Führung das Einzige, was die Kontrolle aufrechterhält. Merk dir das.«
Er aktiviert seine Dra-Kom. »Kom-Verbindung: Alle«, sagt er.
»Was soll das werden?«, frage ich ihn, als das vertraute Biep, Biep-Biep in meinem Ohr ertönt.
»An alle Bewohner der Godspeed. Ich habe eine wichtige Mitteilung zu machen.«
Mein Magen krampft sich zusammen. Der Älteste spricht über seine Dra-Kom mit jedem Bewohner. Und ich glaube zu wissen, was er verkünden wird. Meine Gedanken überschlagen sich. Er kann ihnen unmöglich von der Kryo-Abteilung und den Eingefrorenen erzählen und woher Amy wirklich kommt. So etwas würde er niemals tun.
»Ältester, tun Sie das nicht«, bitte ich ihn.
Er ignoriert mich.
»Einige unter euch, vor allem diejenigen auf dem Versorgerdeck, die sich in der Nähe des Krankenhauses aufhalten, haben vielleicht schon bemerkt, dass wir einen neuen Bewohner an Bord haben.«
»Aufhören.« Ich will mich auf den Ältesten stürzen. Ich habe seine Lügen satt.
Doc reißt mich zurück. Seine langen Finger krallen sich in meinen Arm. Ich will mich losreißen, aber er ist zu stark.
»Der neue Bewohner ist jung und weiblich und hat ungewöhnlich bleiche Haut und helles Haar. Sie ist ein Produkt unserer Forschungsabteilung, die an der Entwicklung körperlicher Eigenschaften arbeitet, die den möglicherweise schwierigen Bedingungen der Zentauri-Erde angepasst sind. Das Mädchen ist harmlos, aber geistig beschränkt und zum Lügen geneigt. Sie ist leicht verwirrt und zu keiner Arbeit zu gebrauchen und wird deswegen auf der Station bleiben. Es wird nicht erwartet, dass sie jemand beachtet oder mit ihr spricht. Sie ist ein Freak und sollte auch so behandelt werden.«
Ich balle die Fäuste. Sie ist also ein Freak? Das Ergebnis eines verrückten Experiments? Das zumindest klingt plausibel, denn die Forscher auf dem Technikdeck arbeiten ständig an allem Möglichen, das uns vor potenziellen Gegebenheiten auf der Zentauri-Erde schützen soll. Trotzdem ist klar, dass der Älteste versucht, Amys wahre Herkunft zu verschleiern und sie vom Großteil der Leute an Bord fernzuhalten.
Ich bebe vor Wut, als Doc mich endlich loslässt, aber es ist zu spät. Der Älteste ist fertig mit seiner Ansprache. Ich drehe mich um und gehe auf den Fahrstuhl zu. Ich muss zu Amy.
27
Amy
»Was ich nicht verstehe«, sage ich, »wieso ihr alle hier seid.«
»Wiemeinzndas?«, will einer der Männer wissen. Er hat eine Gitarre auf dem Schoß, eine uralte Akustikgitarre.
»Harley sagt, dass hier alle verrückt sind. Dass das hier eine psychiatrische Station ist.«
»Nä, wirsinnich verrückt«, sagt der Gitarrenspieler. Sein Akzent ist noch schwerer zu verstehen als der der anderen.
»Doch, sind wir.« Es ist die Frau, die sich so hektisch vor mir in Sicherheit gebracht hat. Harley nennt sie Victria und sagt, dass sie Geschichten schreibt. Sie hat ein alt aussehendes Buch in der Hand – ein echtes, in Leder gebundenes Buch, kein E-Book oder so was. Ich frage mich, woher sie es hat. »Das Einzige, was uns halbwegs normal hält, sind die Psycho-Pillen«, fügt Victria hinzu.
»Du bist vielleicht verrückt«, scherzt der Gitarrenspieler, »aber ich bestimmt nicht.«
»Bist du doch«, sagt Harley. »Genau wie sie. Und ich. Schließlich sind wir alle hier.«
»Aber du bist nicht verrückt«, widerspreche ich.
»Sprich nur für dich selbst.«
»Nein, ich meine es ernst! Du bist es nicht. Du benimmst dich nicht wie ein Verrückter. Das tut keiner von euch.«
Harley lächelt. »Ich betrachte das als Kompliment. Immerhin –«, beginnt er, doch dann
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