Godspeed Bd. 2 - Die Suche
folgen. »Es könnte etwas unter ihren Fingernägeln sein, das ich verwenden kann. Wenn nicht, nehme ich an, dass in diesem Fall auch Sperma zu finden sein wird. Es kann ein paar Tage dauern, die DNA mit allen Aufzeichnungen abzugleichen.«
Ich würde gern sagen: Ich habe sie nur einmal getroffen, aber ich glaube, ich kenne sie besser als jeder von euch.
Als Doc geht, versammelt Junior die Techniker um sich. »Shelby, sieh nach, ob es irgendwelche Vid-Aufnahmen der Region gibt, die den Angriff zeigen. Buck, ich möchte, dass du die Versorger in dieser Gegend aufspürst und befragst; vielleicht haben sie gesehen, was hier passiert ist.«
Ich öffne den Mund. Ich würde gern sagen: Ich brauche dringend jemanden, der mich festhält.
Aber es kommt kein Ton heraus. Ich spüre die Hände an meinem Hals, wie sie mir die Luftröhre zudrücken. Ich schlucke trocken. Er ist nicht hier. Nicht mehr. Er hat sie umgebracht und ist gegangen.
Wieder versuche ich zu sprechen. Ich sollte etwas sagen, ich muss etwas sagen.
Aber ich kann es nicht.
Also renne ich stattdessen.
Mein Körper ist außer sich vor Freude – ich bin ewig nicht mehr gerannt. Ich hatte zu viel Angst, um täglich zu trainieren, aber was ich jetzt mache, ist kein Trainingslauf. Ich renne so schnell ich kann, als würde die Kraft des Windes, der mich umweht, ausreichen, alle Teile von mir an ihrem Platz zu halten.
Am Zaun entlang, den Pfad hinunter, am Sojafeld vorbei. Auf der Hauptstraße angekommen, die das Krankenhaus und das Archiv verbindet, steuere ich automatisch das Archiv an. Keine Ahnung wieso. Ich sollte diesen Ort hassen, denn dort habe ich Luthor das letzte Mal gesehen. Aber ich bin absolut sicher, dass der Hinweis, den Orion mir hinterlassen hat, dort zu finden ist, und wenn mir das gelingt, schaffe ich vielleicht auch, alles andere wieder in Ordnung zu bringen.
Immer noch rennend, durchquere ich die Eingangshalle mit den Grüppchen, die vor den Wandfloppys stehen, und stürme in den Literatursaal. Ich stoße die Tür mit solchem Schwung auf, dass sie gegen die Wand knallt, und komme erst zur Ruhe, als ich das Buch gefunden habe, das ich im Sinn hatte.
Immer noch außer Atem, ziehe ich den dicken Band aus dem Regal. Auf dem Umschlag ist ein Bild eingeprägt. Ein Mädchen, ein Baum und eine grinsende Katze. Das Alter hat die Bindung brechen lassen und die Illustrationen sind verblichen. Mir schlägt das Herz bis zum Hals, als ich das Buch zum Tisch in der Mitte des Raums trage. Ich lasse mich auf den Stuhl sinken und das Buch mit einem lauten Rumms auf den Tisch fallen. Ich kann mir gut vorstellen, wie Junior das Gesicht verziehen würde, wenn er das gesehen hätte. Er behandelt Bücher wie wertvolle Schätze, was sie vermutlich auch sind, aber mein Vater hat immer Eselsohren in seine Bücher gemacht und sie gelesen, bis sie auseinanderfielen, und seine Methode gefällt mir entschieden besser.
Ich klappe das Buch auf und lese den Titel.
Alice im Wunderland
von
Lewis Carroll
Bibliophile Ausgabe
Anmerkungen und Kritiken © 2022
Ich kenne dieses Buch. Also, nicht diese Ausgabe, aber eine andere. Es gehörte in meinem Literaturkurs an der Highschool in Colorado zur Pflichtlektüre. Ich wollte diesen Kurs in meinem Abschlussjahr belegen.
Wir haben die Erde verlassen, als ich noch in der elften Klasse war.
Die Bücher an der Schule waren nagelneu. Und dieses hier ist so alt, dass es beinahe auseinanderfällt, obwohl es im Literatursaal unter perfekten Bedingungen gelagert wird.
Ich schlage das Buch zu und es steigt eine kleine Staubwolke daraus auf. Während ich den muffigen Geruch von altem Papier und trockener Druckfarbe einatme, ist es um mich geschehen.
Ich lasse den Kopf auf das Buch sinken, presse mein Gesicht gegen das Bild der böse grinsenden Cheshire-Katze und schluchze so stark, dass ich fast daran ersticke. Und ich denke an das letzte Mal, als ich beinahe erstickt bin, mit den Schläuchen im Hals in der aufgetauten Eisbrühe und später, als Luthor mir den Arm auf den Hals gedrückt hat. Und dann kann ich nur noch daran denken, dass auch das Mädchen von der Kaninchenfarm erstickt ist. Plötzlich bekomme ich nicht mehr genug Luft in meine Lunge, genauso wie es bei ihr war.
Sie ist gestorben, allein und voller Angst. Ich bin nicht tot, aber auch allein und voller Angst.
19
Junior
»Hab dich gefunden«, sage ich und stoße die Tür auf.
Amy sitzt in der Kunstsammlung im ersten Stock des Archivs auf dem Boden. Sie hat die
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