Godspeed Bd. 2 - Die Suche
in der Luft schweben und dann – wuusch – werde ich in die Röhre gesaugt. Ich kneife die Augen zu. Ich will nicht sehen, wie das Versorgerdeck unter mir verschwindet, während ich höher und höher sause. Ich öffne die Augen erst wieder, als der Wind aufhört und ich auf dem Regentendeck aussteige.
Ich versuche, das Tuch wieder um meine Haare zu schlingen, doch dann gebe ich es auf, zerre es herunter und stopfe es in die Jackentasche. Vor Junior brauche ich meine Haare nicht zu verstecken.
Ich will nach ihm rufen, doch dann mache ich den Mund wieder zu, weil mir gerade etwas klar geworden ist.
Zum ersten Mal in den letzten drei Monaten beginne ich den Tag nicht damit, auf dem Kryo-Deck zu meinen Eltern zu sprechen.
Als ich traurig und einsam aufgewacht bin … kam ich auf direktem Weg hierher.
Zu Junior.
So wie Victria direkt zu Orion gegangen ist.
Orion war im Irrtum, was mich betrifft. Mein sicherer Zufluchtsort ist Junior. Er ist mein Zuhause.
Das Regentendeck ist vollkommen still. Ich werde mir unglaublich blöd vorkommen, wenn ich den ganzen Weg hier heraufgefahren bin, nur um festzustellen, dass Junior nicht da ist. Aber beim Durchqueren des Großen Raums kann ich sein leises Schnarchen hören. Juniors Zimmertür ist offen. Ich spähe hinein.
Im Schlaf sieht er jünger aus – das genaue Gegenteil zu dem finsteren erwachsenen Look, den er gestern an den Tag gelegt hat. Das Zimmer ist so unordentlich, wie es nur das Zimmer eines Jungen sein kann: Überall liegen Klamotten herum, obwohl er einen »Wäschekorb« hat, der seine Sachen an Ort und Stelle reinigt. Im Raum hängt ein Moschusgeruch, der irgendwie nicht zu Junior passt, mich aber trotzdem an ihn erinnert. Man könnte mich mit verbundenen Augen irgendwo im Universum aussetzen, aber sein Zimmer würde ich an diesem Geruch sofort erkennen.
Ich steige über die schmutzigen Sachen und setze mich ans Fußende seines Bettes. Die Matratze gibt nach und er schlägt die Augen auf.
»Amy«, sagt er verschlafen und so innig und mit einem Lächeln in der Stimme, dass es so klingt, als würde mein Name gar nicht mehr enden.
»Amy!«, schreit er und setzt sich ruckartig auf. »Was zum – wie bist du – was willst du hier?«
Ich grinse. »Ich habe das hier gefunden«, sage ich und werfe ihm das gefaltete Blatt Papier aus der Kryo-Kammer in den Schoß. Er greift danach.
»Was ist das?«, fragt er, während er die Liste überfliegt.
»Es ist eine Aufstellung aller Militärangehörigen auf dem Kryo-Deck. Ich habe es zweimal anhand der offiziellen Aufzeichnungen überprüft.« Junior sieht mich fragend an und so füge ich hinzu: »Das ist der nächste Hinweis, den Orion mir … uns hinterlassen hat.«
Junior betrachtet die Liste mit gerunzelter Stirn. »Beim letzten Hinweis ging es darum, etwas zusammenzuzählen.«
»Ja«, bestätige ich. »Ich habe sie gezählt – auf dieser Liste sind siebenundzwanzig Personen. Und ich habe die Siebenundzwanzig an den Türcodes schon ausprobiert – als Zahlen und ausgeschrieben als Wort – und es hat nichts gebracht. Keine der Türen ist aufgegangen.«
Ich weiß nicht, was ich von Junior erwartet habe – dass er sich plötzlich an eine weitere verschlossene Tür auf dem Schiff erinnert oder dass er beim Durchzählen der Personen auf der Liste zu einem anderen Ergebnis kommt, aber das Einzige, was er macht, ist vor sich hinzubrummen und mir die Liste wieder zuzuwerfen. Als er die Decke zur Seite schlägt und sich aus dem Bett schwingt, sehe ich, dass er keinen Schlafanzug trägt. Er hat nur so etwas wie Boxershorts an, und sie sind aus weißem Leinen und deutlich knapper und enger als die Boxershorts, die auf der Erde getragen wurden. Ich kann nicht anders – ich muss hinsehen. Als ich hierher gerast bin und mich auf sein Bett fallen ließ, habe ich nicht darüber nachgedacht, was er wohl tragen würde – aber jetzt –
Junior lacht und sein Grinsen spricht Bände.
»Hör auf zu grinsen und zieh dir was an!«, sage ich und werfe ein Kissen nach ihm.
Ich bin immer noch rot, als Junior – nun vollständig angezogen – mit mir zur Schwerkraftröhre im Lernzentrum geht. Er aktiviert seine Dra-Kom, um die Röhre zu starten und hält mir dann die Hand hin.
Wie bitte?
»Ich gehe nach dir«, sage ich und trete zurück.
Junior hebt eine Braue und der Anflug eines Lächelns umspielt seine Lippen. »Komm schon, mach die Fahrt mit mir.«
Wir sind natürlich schon einmal zusammen durch die Röhre
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