Goebel, Joey
der Bühne war Lampenfieber für sie ein Fremdwort, und sie war die treibende Kraft hinter dem Commonwealth-Center [614] gewesen. Falls sie die Wahl gewänne, würde sie die jüngste Frau im Kongress werden. John und Henry schüttelten die Köpfe, während die Menge Jackie zujubelte. Ausgerechnet ein Mädel lieferte ihnen einen harten Kampf.
»Das war gut, Schatz«, sagte Bernice, die in einem pfirsichfarbenen Jogginganzug erschienen war, als Blue Gene sich hinter der Bühne neben sie setzte.
»Es war wirklich gut«, bestätigte Mitchell in einem Frasier-Crane-Kostüm. »Du hast eine interessante Bühnenpräsenz. Also, wie du dich bewegst, das wirkt, weiß auch nicht, müde und selbstsicher zugleich.«
»Es war scheiße«, sagte Blue Gene. »Ich fand’s schauderhaft. Hören wir lieber Jackie zu.«
Jackie trug die Rede vor, die sie und Blue Gene übers Wochenende gemeinsam bei ihr zu Hause verfasst hatten. Für diese Wahlkundgebung trug sie einen schwarzen Hosenanzug, eine cremefarbene Bluse und schwarze Pumps; die Haare hatte sie zu einem Knoten gebunden. Blue Gene hatte vorgeschlagen, sie solle so wie immer herumlaufen, aber Jackie sagte, wenn die Leute sie ernst nehmen sollten, müsse sie auch entsprechend aussehen. Daher kam Jackie zu Halloween als Erwachsene verkleidet, und ihr Nachname war heute Abend ausnahmsweise nicht Stepchild.
Rasch stellte Jackie den Mikrophonständer auf ihre Größe ein. »Eigentlich möchte ich mit Ihnen über eine einzige Sache reden«, begann Jackie ähnlich unerschrocken, wie sie auch als Frontfrau von Uncle Sam’s Finger aufgetreten war. »Geld.« Wie von Blue Gene und ihr geplant, ließ sie das Wort ein wenig wirken. »Zugegeben, Geld ist nicht alles. [615] Aber es hält alles in Bewegung. Mit Geld kann man keine Liebe kaufen, aber es kann die Liebe beschleunigen. Wissen Sie, die Liebe Ihres Lebens läuft vielleicht genau in diesem Augenblick auf der anderen Seite des Planeten herum, aber Sie lernen diesen Seelenverwandten vielleicht nie kennen, weil Ihnen beiden das nötige Kleingeld für Flugtickets fehlt, damit Sie sich überhaupt kennenlernen könnten. Sich keine Flugtickets leisten zu können ist an sich schon ein Unding. Ich fand schon immer, jeder Mensch sollte jeden Ort auf der Welt besuchen können, aber die meisten sind dazu aus Geldmangel nicht in der Lage. Aber wir wollen uns nicht bei Flugtickets aufhalten. Lassen Sie uns weiter über Liebe reden. Vielleicht begegnet man dem Mann oder der Frau seiner Träume nie, weil man ihn oder sie nicht im Internet findet, weil man sich keinen Computer leisten kann. Nein, Geld kann keine Liebe kaufen, aber wie soll man ohne Geld für seine Dates bezahlen?«
Blue Gene beobachtete, wie das Publikum auf den von ihm verfassten kleinen Scherz reagierte. Dann sah er John, Henry und Balsam ziemlich weit vorn am westlichen Rand der Menge stehen, was seine gute Laune sofort dämpfte und die mürrischen Dämonen der Angst in den Vordergrund treten ließ.
»Manche Menschen behandeln Geld wie einen Gott. Ich glaube nicht, dass Geld ein Gott ist, sondern eher eine Art Schutzengel. Geld stellt uns einen Schutzengel, der uns immer über die Schulter schaut, uns unauffällig beschützt, uns unmerklich fortschiebt von dem Weg, der zu Leid und Tod führt. Wenn man beispielsweise ernsthaft erkrankt, sorgt der Beschützer dafür, dass man die bestmögliche [616] medizinische Versorgung bekommt. Wenn ein Hurrikan direkt auf dein Haus zuhält, wird der Schutzengel dafür sorgen, dass du dich rechtzeitig in Sicherheit bringen und anderswo ein neues Leben aufbauen kannst.
Weshalb ich kandidiere und weshalb wir die Partei der Habenichtse gegründet haben, liegt an einem zentralen Problem. Und dieses Problem lautet, dass manche Leute viel, viel bessere Schutzengel haben als andere. Einem einzigen Prozent – einem winzigen, klitzekleinen Prozent – aller Menschen in diesem Land gehört achtunddreißig Prozent des gesamten Reichtums. Deshalb kann es sich dieses grotesk reiche eine Prozent leisten, sich von den größten, stärksten und fähigsten Schutzengeln verteidigen zu lassen, die diese Welt je gesehen hat. Spitzenengel der Extraklasse. Und jeder, der von so einem bewacht wird, sollte sich glücklich schätzen. Es gibt heutzutage immer weniger davon.
Die meisten von uns gehören zu den anderen neunundneunzig Prozent, und weil wir nicht so elitär sind, haben wir Allerweltsschutzengel, die es eher locker angehen lassen. Sie sind gut zu uns,
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