Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band
arithmetische Substrat nennen möchte — ist es eine Aussage über ganze Zahlen, die dann und nur dann wahr ist, wenn sie falsch ist.
Aus irgendwelchen Gründen beunruhigt uns die zweite sehr viel mehr als die erste. Viele tun diese wegen ihrer Selbstbezüglichkeit einfach als „bedeutungsleer“ ab. Man kann aber paradoxe Aussagen über ganze Zahlen nicht einfach mit einem Achselzucken übergehen. Aussagen über ganze Zahlen können ganz einfach nicht sowohl wahr als auch falsch sein.
Nun habe ich das Gefühl, daß die Tarski-Transformation der Epimenides-Paradoxie uns lehrt, in der umgangssprachlichen Version nach einem Substrat zu suchen. In der arithmetischen Version wird die obere Bedeutungsebene durch die tieferliegende arithmetische Ebene gestützt. In analoger Weise ist vielleicht die selbstbezügliche Aussage,die wir wahrnehmen („Dieser Satz ist falsch“), nur das obere Stockwerk einer zweistufigen Einheit. Was wäre dann die tieferliegende Ebene? Nun, was ist der Mechanismus, auf dem die Sprache reitet? Das Gehirn. Deshalb müßte man ein neurales Substrat für die Paradoxie des Epimenides suchen — eine tieferliegende Stufe physikalischer Vorgänge, die miteinander in Konflikt geraten. Das heißt, zwei Vorgänge, die Ihrer Natur nach nicht gleichzeitig vorkommen können. Wenn dieses physikalische Substrat existiert, dann ist der Grund, warum wir aus dem Ausspruch des Epimenides einfach nicht herauskommen, daß unser Gehirn sich an einer unmöglichen Aufgabe versucht.
Was wären nun die miteinander in Konflikt geratenen physikalischen Vorgänge? Wenn man den Ausspruch des Epimenides hört, besorgt vermutlich das Gehirn irgendeine „Codierung“ des Satzes — ein internes Muster wechselwirkender Symbole. Dann versucht es, die Aussage als „wahr“ oder „falsch“ zu bezeichnen. Dieser Akt der Klassifikation bedingt den Versuch, verschiedene Symbole zu zwingen, auf eine besondere Art und Weise zu wechselwirken. (Vermutlich geschieht das bei der Verarbeitung jeder Aussage.) Wenn nun dieser Akt das Codieren der Aussage physisch unterbricht etwas, was normalerweise nicht geschehen könnte —, dann ist man in Schwierigkeiten, denn es käme aufs gleiche heraus, einen Plattenspieler zu zwingen, die Platte, die ihn zerbricht, zu spielen. Wir haben den Konflikt vom Standpunkt der physikalischen, nicht der neuralen Vorgänge dargestellt. Wenn unsere Analyse bis hierher richtig war, dann könnten wir wohl den Rest der Diskussion fortführen, etwa über die Zusammensetzung der „Symbole“ im Gehirn aus Neuronen und ihre Erregung, wie auch über die Art, wie Aussagen in „Codierungen“ verwandelt werden können.
Diese Skizze des neuralen Substrats der Epimenides-Paradoxie legt — zumindest mir — den Gedanken nahe, daß die Auflösung für die umgangssprachliche Version der Epimenides-Paradoxie ähnlich der für Tarskis Version wäre. Die Lösung setzte voraus, daß man sich der Vorstellung entledigen muß, daß ein Gehirn jemals eine völlig genaue Repräsentation für den Begriff „Wahrheit“ liefern kann. Die Neuartigkeit in der Lösung liegt in der Annahme, daß eine vollständige Darstellung der Wahrheit durch ein Modell aus rein physikalischen Gründen unmöglich ist: Eine solche Modelldarstellung würde nämlich bedingen, daß physikalisch unvereinbare Vorgänge im Gehirn ablaufen.
SHRDLU
bleibet meine Freude
Eines Tages schlendert Eta Oin in das AI-Laboratorium des Massachusetts Institute of Technology (MIT), wo sie auf ein brillantes junges Computerprogramm stößt, SHRDLU. Es trifft sich, daß SHRDLU es einfach nicht mehr erwarten kann, daß jemand ein neu entwickeltes menschliches Wesen namens Dr. Tony Earrwig ausprobiert. SHRDLU erklärt, daß dieser Earrwig im bescheidenen Bereich der Analyse einer Unterhaltung über eine „Spielzeugwelt“ ziemlich intelligent ist; diese Spielzeugwelt besteht aus Blöcken verschiedener Form, Farbe und Größe — Klötze, die auf einem Tisch liegen und die man anfassen und bewegen kann. Eta Oin ist fasziniert und beginnt alsbald, enthusiastisch Botschaften für SHRDLU zu tippen. Earrwig schaut ihr über die Schulter und gibt, wie versprochen, eine Art fortlaufenden Kommentar. 1
1. Eta Oin: Nimm einen großen roten Klotz. [Siehe Abb 110].
SHRDLU: OK.
Dr. Tony Earrwig: SHRDLU antwortet „OK“, wenn es einen Befehl ausführt. Um den roten Klotz aufzunehmen, mußte es ihn erst freiräumen, einen Ort für den grünen finden und den grünen
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