Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band
sich Bedeutung ableitet.) Der Interpretierer kann viele wichtige Aspekte der Bedeutung eines Stücks entdecken, wenn er es zum ersten Mal hört; das scheint die Ansicht zu bestätigen, daß die Bedeutung im Stück selbst liegt und einfach abgelesen wird. Das ist aber nur ein Teil der Geschichte. Der Musik-Interpretierer arbeitet so, daß er eine vieldimensionale kognitive Struktur errichtet — eine geistige Repräsentation des Stücks — die er mit bereits vorliegender Information zu integrieren sucht, indem er Verbindungen zu anderen vieldimensionalen geistigen Strukturen findet, die frühere Erfahrungen codieren. Während dieses Vorgangs entfaltet sich allmählich die volle Bedeutung. Es können Jahre vergehen, bevor man das Gefühl hat, zur innersten Bedeutung eines Stücks vorgedrungen zu sein. Das scheint die entgegengesetzte Ansicht zu bestätigen: daß die musikalische Bedeutung verzettelt daliegt und daß es Aufgabe des Interpretierers ist, sie allmählich zusammenzufügen.
Ohne Zweifel liegt die Wahrheit irgendwo in der Mitte: Bedeutungen, musikalische wie linguistische, lassen sich bis zu einem gewissen Grad lokalisieren. In der Ausdrucksweise von Kapitel VI können wir sagen, daß musikalische Stücke und Texte zum Teil Auslöser sind und zum anderen Teil Träger einer expliziten Bedeutung. Eine anschauliche Illustration dieses Bedeutungsdualismus liefert eine Tafel mit einer alten Inschrift: die Bedeutung ist zum Teil in Bibliotheken und den Köpfen von Gelehrten in der ganzen Welt aufbewahrt, und doch ist sie auch offensichtlich in der Tafel selbst implizit.
So besteht eine andere Möglichkeit, den Unterschied zwischen „syntaktischen“ und „semantischen“ Eigenschaften (im oben dargestellten Sinn) zu charakterisieren, darin, daß die syntaktischen eindeutig in dem in Frage stehenden Objekt vorhanden sind, während semantische Eigenschaften von den Beziehungen zu einer potentiell unendlichen Klasse anderer Objekte abhängen und sich deshalb nicht vollständig lokalisieren lassen. Im Prinzip haben syntaktische Eigenschaften nichts Kryptisches oder Okkultes an sich, während bei semantischen die Verborgenheit zum Wesen gehört. Das ist der Grund dafür, daß ich zwischen „syntaktisch“ und „semantisch“ eine Unterscheidung vornehmen möchte.
Schönheit, Wahrheit und Form
Wie steht es mit der Schönheit? Nach den oben dargelegten Gedankengängen ist sie gewiß keine syntaktische Eigenschaft. Ist sie gar eine semantische? Ist Schönheit eine Eigenschaft, die zum Beispiel ein bestimmtes Gemälde besitzt? Beschränken wir uns von Anfang an auf einen einzelnen Betrachter. Jeder hat schon die Erfahrung gemacht, daß er etwas zu einem gewissen Zeitpunkt schön gefunden hat, zu einem anderen jedoch uninteressant, und vermutlich zu wieder anderen irgendwo dazwischen. Ist so Schönheit eine Eigenschaft, die mit der Zeit variiert? Man könnte die Dinge umkehren und sagen, es sei der Betrachter, der im Lauf der Zeit variiert. Nimmt man keinen bestimmten Betrachter eines bestimmten Gemäldes zu einem bestimmten Zeitpunkt ist dann die Behauptung vernünftig, daß Schönheit eine definitiv vorhandene oder nicht vorhandene Eigenschaft ist? Oder ist noch immer etwas schlecht Definiertes, etwas Unfaßbares dabei?
Man könnte vermutlich verschiedene Interpretationsstufen bei jedem Menschen zu Hilfe nehmen, je nach den Umständen. Diese verschiedenen Interpretationen holen verschiedene Bedeutungen heraus, stellen verschiedene Verbindungen her und bewerten alle tieferliegenden Aspekte auf unterschiedliche Weise. Es scheint somit, daß diese Vorstellung der Schönheit äußerst schwierig zu präzisieren ist. Aus diesem Grunde habe ich beschlossen, im Magnifikrebs Schönheit und Wahrheit zu verbinden, die, wie wir gesehen haben, auch eine der am schwersten zugänglichen Begriffe der gesamten Metamathematik ist.
Das neurale Substrat der Epimenides-Paradoxie
Ich möchte dieses Kapitel mit einigen Bemerkungen über das Zentralproblem der Wahrheit, die Paradoxie des Epimenides, abschließen. Ich bin der Ansicht, daß Tarskis Reproduktion der Epimenides-Paradoxie innerhalb von TNT den Weg zu einem tieferen Verständnis der Paradoxie in ihrer umgangssprachlichen Fassung weist. Tarski fand heraus, daß seine Version der Paradoxie zwei verschiedene Ebenen besitzt. Auf einer Ebene ist es ein Satz über sich selbst, der wahr wäre, wenn er falsch, und falsch, wenn er wahr wäre. Auf der anderen Stufe — die ich das
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