Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band
sich in einem Labyrinth von raschen Wechseln in der Tonart verirren zu lassen. Bald ist man so durcheinander, daß man seinen Orientierungssinn verloren hat. Man weiß nicht, wo die eigentliche Tonika ist, wenn man nicht das absolute Gehör oder, wie Theseus, eine Freundin wie Ariadne besitzt, die einem einen Faden gib, anhand dessen man seinen Weg zurück finden kann. In diesem Falle wäre der Faden die Partitur. Dieses Stück — ein anderes Beispiel wäre der Endlos Reduplizierte Canon — zeigt, daß wir — als Zuhörer — keine sehr verläßlichen tiefen Stapel haben.
Rekursion in der Sprache
In der Sprache ist unsere Fähigkeit, Stapel zu bilden, vielleicht etwas stärker. Die grammatikalische Struktur aller Sprachen bedingt, daß man recht komplizierte pushdown-Stapel herstellt, obgleich die Schwierigkeit, einen Satz zu verstehen, mit der Anzahl von „Push's“ auf einem Stapel rapide zunimmt.
Die notorische Eigenheit der deutschen Sprache, das Verbum ans Ende des Satzes zu stellen, über welche lustige Geschichten von geistesabwesenden Professoren, die einen Satz beginnen, die ganze Vorlesung lang weiterreden, und damit aufhören, daß sie eine Kette von Verben herunterleiern, wobei die Zuhörer, für die der Stapel schon längst jeglichen Zusammenhang verloren hat, völlig verwirrt werden, erzählt werden, ist ein sehr gutes Beispiel für linguistisches Pushen und Poppen. Ein klassisches Beispiel ist Christian Morgensterns Vorrede zu seinen Galgenliedern:
Es darf daher getrost, was auch von allen, deren Sinne, weil sie unter Sternen, die, wie der Dichter sagt, zu dörren, statt zu leuchten, geschaffen sind, geboren sind, vertrocknet sind, behauptet wird, enthauptet werden, daß hier einem sozumaßen und im Sinne der Zeit, dieselbe im Negativen als Hydra betrachtet, hydratherapeutischen Moment ersten Ranges, immer angesichts dessen, daß, wie oben, keine mit Rosenfingern den springenden Punkt ihrer schlechthin unvoreingenommenen Hoffnung auf eine, sagen wir, schwansinnige oder wesenzielle Erweiterung des natürlichen Stofffeldes zusamt mit der Freiheit des Individuums vor dem Gesetz ihrer Volksseele zu verraten den Mut, was sage ich, die Verruchtheit haben wird, einem Moment, wie ihm in Handel, Wandel, Kunst und Wissenschaft allüberall dieselbe Erscheinung, dieselbe Tendenz den Arm bietet, und welches bei allem, ja vielleicht eben trotz allem, als ein mehr oder minder undulationsfähiger Ausdruck einer ganz bestimmten und im weitesten Verfolge excösen Weltauffasseraumwortkindundkunstanschauung kaum mehr zu unterschlagen versucht werden zu wollen vermag — gegenübergestanden und beigewohnt werden zu dürfen gelten lassen zu müssen sein möchte.
Im gewöhnlichen Umgangsdeutsch kommen solche umfangreiche Stapel jedoch fast nie vor. Tatsächlich verletzen Leute deutscher Muttersprache oft unbewußt gewisse Konventionen, wie etwa die, daß in Nebensätzen das Verbum an den Schluß kommt, um so die Anstrengung zu vermeiden, dem Stapel zu folgen. Jede Sprache weist Konstruktionen auf, die Stapel benötigen, wenn auch im allgemeinen nicht so spektakulär wie im Deutschen. Methoden, die Sätze so umzuformulieren, daß die Stapel von minimaler Tiefe sind, gibt es jedoch immer.
Rekursive Transitions-Netzwerke
Die syntaktische Struktur von Sätzen bietet einen guten Ausgangspunkt für die Beschreibung von rekursiven Strukturen und Prozessen: das Rekursive Transitions-Netzwerk (RTN). Ein RTN ist ein Diagramm, das verschiedene Wege zeigt, denen man bei der Erledigung einer bestimmten Aufgabe folgen kann. Jeder Weg besteht aus einer Anzahl von Knoten oder Kästchen, die ein Wort enthalten, und diese sind durch Bögen oder Pfeile miteinander verbunden. Die Bezeichnung für das ganze RTN wird separat auf die linke Seite geschrieben, und die ersten und letzten Knoten enthalten die Wörter Anfang und Ende. Alle anderen Knoten enthalten entweder ganz kurze explizite Anweisungen für das weitere Vorgehen oder Namen von anderen RTNs. Jedesmal , wenn man auf einen Knoten stößt, sind die in ihm enthaltenen Anweisungen auszuführen, oder es ist auf das RTN, das er bezeichnet, überzugehen und selbiges auszuführen.
Nehmen wir als Beispiel ein RTN mit dem Namen BLUMIGES SUBSTANTIV , das angibt, wie man einen gewissen Typus deutscher Nominalausdrücke bildet ( Abb. 27a ). Wenn wir BLUMIGES SUBSTANTIV einfach horizontal durchlaufen, beginnen wir, dann erzeugen wir einen ARTIKEL , ein ADJEKTIV und ein SUBSTANTIV , und
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