Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band
Abb. 26).
Abb. 26 . Strukturdiagramm des Dialogs Kleines harmonisches Labyrinth. Bewegungen senkrecht nach unten sind „Pushes“, nach oben „Pops“. Beachte die Ähnlichkeit dieses Diagramms mit dem Einrückungsmuster im Dialog. Das Diagramm macht klar, daß die anfängliche Spannung — Glücksfalls Drohung — nie aufgelöst wurde. Achilles und Theo Schildkröte bleiben einfach am Himmel hängen. Einige Leser beklagen vielleicht diesen ungepoppten Push, während andere nicht einmal mit der Wimper zucken. Bachs musikalisches Labyrinth wurde im Dialog ebenfalls zu früh abgeschnitten — aber Achilles fand nichts komisch daran. Nur Theo Schildkröte war sich der globaleren Spannung bewußt.
Stapel in der Musik
Wenn wir vom Kleinen harmonischen Labyrinth sprechen, sollten wir auf etwas eingehen, das wir im Dialog angedeutet, wenn auch nicht explizit ausgesprochen haben, nämlich daß wir Musik rekursiv hören, und insbesondere, daß wir im Kopf einen Stapel von Tonarten haben und jede neue Modulation eine neue Tonart auf den Stapel pusht. Eine weitere Folge ist, daß wir die Reihe der Tonarten in umgekehrter Reihenfolge hören wollen, d. h. die gepushten Tonarten, eine nach der anderen, vom Stapel hinunterpoppen, bis die Tonika erreicht ist. Das ist eine Übertreibung, doch enthält sie ein Körnchen Wahrheit.
Jeder einigermaßen musikalische Mensch besitzt automatisch einen flachen Stapel mit zwei Tonarten. In diesem „kurzen Stapel“ findet sich die wahre Grundtonart, und ebenfalls die unmittelbar folgende „Pseudotonika“ (die Tonart, in der der Komponist sich zu befinden vorgibt). In anderen Worten: die globalste Tonart und die lokalste Tonart. Auf diese Weise weiß der Hörer, wann die wirkliche Tonart wieder erreicht ist, und er hat ein starkes Gefühl der „Erleichterung“. Auch kann der Hörer (im Gegensatz zu Achilles) zwischen einem lokalen Nachlassen der Spannung — zum Beispiel einer Auflösung in der Pseudotonika — und der globalen Auflösung unterscheiden. Tatsächlich sollte eine Pseudo-Auflösung die globale Spannung steigern und nicht abschwächen, weil sie ein Stück Ironie darstellt — genau wie Achilles' Rettung von seinem gefährlichen Sitz auf der schwingenden Lampe — während man doch weiß, daß er und Herr Schildkröte ihr bitteres Schicksal unter dem Messer des Monsieur Glücksfall erwarten.
Dafür, daß Spannung und Auflösung Herz und Seele der Musik bilden, gibt es zahllose Beispiele. Sehen wir uns einige bei Bach an. Er komponierte viele Stücke in der Form „AABB“, d. h. zwei Hälften, die beide wiederholt werden. Nehmen wir die Gigue in der Französischen Suite Nr. 5, die für diese Form typisch ist. Ihre Grundtonart ist G, und wir hören eine gelöste Tanzweise, die die Tonart G fest begründet. Bald jedoch leitet eine Modulation in Abschnitt A über zu der eng verwandten Tonart D (der Dominante). Wenn der Abschnitt A endet, befinden wir uns in der Tonart D. Tatsächlich klingt es so, als wäre das Stück in dieser Tonart zu Ende gegangen. (Oder es würde zumindest in Achilles' Ohren so klingen.) Dann aber geschieht etwas Seltsames — wir springen unvermittelt zum Anfang zurück, nämlich zu G, und hören wieder den gleichen Übergang nach D. Dann aber geschieht etwas Seltsames — wir springen unvermittelt zum Anfang zurück, nämlich zu G, und hören wieder den gleichen Übergang nach D.
Dann kommt der Abschnitt B. Mit der Umkehrung des Themas unserer Melodie beginnen wir in D, als wäre das schon immer die Tonika gewesen — aber schließlich modulieren wir zurück nach G, was bedeutet, daß wir in die Tonika zurückpoppen, und der Abschnitt B endet korrekt. Dann findet diese komische Wiederholung statt, die uns unvermittelt nach D zurückwirft und uns abermals nach G zurückkehren läßt.
Dann findet diese komische Wiederholung statt, die uns unvermittelt nach D zurückwirft und uns abermals nach G zurückkehren läßt.
Die psychologische Wirkung all dieser Tonart-Verschiebungen — einige unvermittelt,andere gleitend — ist sehr schwierig zu beschreiben. Es gehört zur Magie der Musik, daß wir diesen Verschiebungen automatisch einen Sinn geben können. Oder vielleicht ist es die Magie Bachs, daß er so strukturierte Stücke komponieren kann, denen solch eine natürliche Grazie innewohnt, daß wir uns gar nicht bewußt werden, was eigentlich geschieht.
Das ursprüngliche Kleine harmonische Labyrinth ist ein Stück, in dem Bach versucht, den Hörer
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