Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band
Schleife.
Werden wir etwas konkreter! Wir beschränken uns auf nur zwei Arten von Teilchen: Elektronen und Photonen. Außerdem werden wir noch das Antiteilchen des Elektrons, das Positron dazunehmen müssen. (Photonen sind ihre eigenen Antiteilchen.) Stellen wir uns zuerst eine langweilige Welt vor, in der ein nacktes Elektron sich von Punkt A nach Punkt B fortbewegen will, wie es Zeno in meiner Dreistimmigen Invention tat. Ein Physiker würde ein Bild wie das folgende zeichnen:
Es gibt einen mathematischen Ausdruck, der diesen Geraden und ihren Endpunkten entspricht, und er läßt sich leicht niederschreiben. Mit ihm kann ein Physiker das Verhalten des nackten Elektrons in seiner Flugbahn begreifen.
Nun „schalten“ wir die elektromagnetische Wechselwirkung ein, bei der Elektronen und Photonen aufeinander einwirken. Obgleich Photonen auftreten, ergeben sich dennoch sogar für diese einfache Flugbahn tiefgreifende Konsequenzen. Insbesondere wird unser Elektron fähig, virtuelle Photonen auszusenden und wieder zu absorbieren, Photonen, deren Existenz kurz aufflackert und wieder verlischt, bevor man sie wahrnehmen kann. Schauen wir uns einen solchen Vorgang an:
Während unser Elektron sich nunmehr fortbewegt, kann es ein Photon nach dem anderen aussenden und wieder absorbieren und das sogar verschachtelt, wie folgt:
Die diesen Diagrammen — man nennt sie „Feynman-Diagramme“ — entsprechenden mathematischen Ausdrücke lassen sich leicht niederschreiben, sind aber schwieriger zu berechnen als die für ein „nacktes“ Elektron. Was aber die Dinge ganz gehörig kompliziert, ist die Tatsache, daß ein Photon (reell oder virtuell) für einen kurzen Moment in ein Paar von einem Elektron und einem Positron zerfallen kann. Dann annihilieren sich diese beiden gegenseitig, und wie durch Magie erscheint wieder das ursprüngliche Photon. Ein Vorgang dieser Art ist der nachstehende:
Das Elektron weist einen nach rechts, das Positron einen nach links zeigenden Pfeil auf.
Wie der Leser vermutlich vorausgesehen hat, können diese virtuellen Vorgänge in beliebiger Tiefe geschachtelt sein. Dabei können recht komplizierte Diagramme wie das in Abb. 35 gezeigte entstehen. Auf diesem Feynman-Diagramm tritt ein einziges Elektron links bei A ein, vollbringt einige erstaunliche akrobatische Kunststücke — und dann tritt ein einziges Elektron bei B aus.
Für einen Außenseiter, der den Wirrwarr im Inneren nicht sieht, hat es den Anschein, ein Elektron sei friedlich von A nach B gesegelt. Man erkennt im Diagramm, wie Elektronenbahnen nach Belieben angereichert werden können, und das gleiche gilt auch für die Bahnen von Photonen. Die Berechnung dieses Diagramms wäre teuflisch schwierig.
Abb. 35 . Ein Feynman-Diagramm zeigt die Fortbewegung eines renormalisierten Elektrons von A nach B. In diesem Diagramm nimmt die Zeit nach rechts zu. In den Segmenten, in denen der Pfeil des Elektrons nach links weist, bewegt es sich „in der Zeit rückwärts“. Anschaulicher ist dies so auszudrücken, daß sich ein Anti-Elektron (Positron) in der Zeitdimension vorwärts bewegt. Photonen sind ihre eigenen Anti-Teilchen; deshalb bedürfen ihre Linien nicht der Pfeile.
Für diese Art von Diagrammen gibt es eine Art „Grammatik“, wonach sich nur gewisse Bilder in der Natur verwirklichen lassen. Das nachstehende z. B. ist unmöglich:
Man könnte es ein „nicht wohlgeformtes“ Feynman-Diagramm nennen. Die Grammatik ergibt sich aus den physikalischen Grundgesetzen — Erhaltung der Energie, Erhaltung der elektrischen Ladung usw. Und wie die Grammatik der menschlichen Sprachen weist diese Grammatik eine rekursive Struktur auf, indem sie tiefe Verschachtelungen von Strukturen zuläßt. Es wäre möglich, eine Anzahl von RTNs auszuarbeiten, welche die „Grammatik“ elektromagnetischer Wechselwirkungen definieren.
Wenn man nackte Elektronen und nackte Photonen in dieser willkürlichen verwickelten Weise miteinander in Wechselwirkung treten läßt, sind renormalisierte Elektronen und Photonen das Ergebnis. Um also zu verstehen, wie ein reelles, physikalisches Elektron sich von A nach B fortbewegt, muß der Physiker imstande sein, eine Art Durchschnitt aus all den unendlich vielen verschiedenen möglichen Zeichnungen zu ziehen, bei denen virtuelle Teilchen auftreten. Das heißt Zeno auf die Spitze treiben!
Es kommt also darauf an, daß ein physikalisches Teilchen — ein renormalisiertes Teilchen — 1) ein nacktes Teilchen und 2)
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