Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band
einen ungeheuren Wirrwarr von virtuellen Teilchen bedingt, die unaufhörlich in einen rekursiven Wirrwarr verschlungen sind. Die Existenz jedes Teilchens bedingt damit die Existenz von unendlich vielen anderen Teilchen, die in einer „virtuellen Wolke“ enthalten sind, die es umgibt, während essich fortbewegt. Und jedes dieser virtuellen Teilchen in der Wolke schleppt natürlich seine eigene virtuelle Wolke mit sich und so weiter ad infinitum.
Teilchenphysiker haben herausgefunden, daß sie mit dieser Komplexität nicht fertig werden, und um das Verhältnis von Elektronen und Photonen zu verstehen, bedienen sie sich gewisser Annäherungen, die alle außer einigermaßen einfachen Feynman-Diagrammen nicht berücksichtigen. Je komplizierter ein Diagramm, desto unwichtiger glücklicherweise sein Beitrag. Die Wissenschaft kennt keine Methode für die Zusammenfassung all der unendlich vielen möglichen Diagramme, mit der sich ein Ausdruck für das Verhalten eines vollständig renormalisierten physikalischen Elektrons gewinnen ließe. Indem sie aber ungefähr die hundert einfachsten Diagramme für gewisse Vorgänge verwendeten, ist es den Physikern gelungen, einen Wert (den sogenannten g-Faktor des Muons) — auf neun Dezimalstellen korrekt! — vorauszusagen.
Renormalisierung findet nicht nur bei Elektronen und Photonen statt. Immer wenn irgendwelche Teilchen aufeinander einwirken, greifen die Physiker, um die Phänomene zu verstehen, zur Vorstellung der Renormalisierung. Protonen und Neutronen, Neutrinos und psi-Mesonen, Quarks und die ganze Fauna im subnuklearen Zoo besitzen in den physikalischen Theorien nackte und renormalisierte Versionen. Und aus all den Milliarden dieser Blasen innerhalb von Blasen setzen sich Tiere und Tand der Welt zusammen.
Kopien und Gleichheit
Betrachten wir noch einmal Gplot. Man wird sich daran erinnern, daß wir in der Einleitung von verschiedenen Arten des Kanons sprachen. Kanons jeglicher Art nehmen ein Qriginalthema, um es durch eine Isomorphie, eine informationserhaltende Transformation, zu kopieren. Manchmal standen die Kopien auf dem Kopf, manchmal waren sie rückläufig, manchmal schrumpften sie oder wurden erweitert ... in Gplot haben wir alle diese Transformationstypen und noch einige mehr. Die Abbildung des vollen Gplot mit den „Kopien“ seiner selbst innerhalb seiner selbst bedingt Änderungen in der Größe, den Verschiebungen, den Spiegelungen usw. Und doch bleibt eine skelettartige Identität, die das Auge mit etwas Anstrengung aufnehmen kann - besonders wenn es sich an INT geübt hat.
Escher griff die Idee auf, daß die Teile eines Gegenstands Kopien eben dieses Gegenstands sein können, und machte daraus ein Bild, den Holzschnitt Fische und Schuppen ( Abb. 36 ). Natürlich sind diese Fische und Schuppen nur dann einander gleich, wenn wir sie auf einer hinreichend abstrakten Ebene betrachten. Jedermann weiß, daß die Schuppen eines Fisches in Wirklichkeit nicht verkleinerte Kopien des Fisches sind und daß die Zellen eines Fisches nicht kleine Kopien des Fisches sind; doch ist die DNS eines Fisches, die sich in jeder einzelnen Zelle des Fisches findet, tatsächlich eine sehr verzwickte „Kopie“ des ganzen Fisches — und so enthält Eschers Bild mehr als nur ein Körnchen Wahrheit.
Was ist an allen Schmetterlingen „gleich“? Wenn man einen Schmetterling auf einen anderen abbildet, dann heißt das nicht, daß man eine Zelle auf die andere
Abb. 36 . Fische und Schuppen , von M. C. Escher (Holzschnitt, 1959).
abbildet, sondern vielmehr einen funktionellen Teil auf einen anderen funktionellen Teil, und das kann teils auf einer makroskopischen, teils auf einer mikroskopischen Skala geschehen. Nicht die genauen Größenverhältnisse zwischen den beiden Teilen bleiben erhalten, sondern nur die funktionellen Beziehungen zwischen ihnen. Das ist die Art von Isomorphie, die alle Schmetterlinge in Eschers Holzstich Schmetterlinge (Abb. 37) miteinander verbindet. Dasselbe gilt für die mehr abstrakten Schmetterlinge in Gplot, die alle durch mathematische Abbildungen miteinander verbunden sind, die einen funktionellen Teil auf einen anderen abbilden, die genauen Proportionen von Linien, Winkeln usw. aber völlig außer acht lassen.
Indem wir diese Erforschung der Gleichheit auf eine noch höhere Abstraktionsebene verlegen, können wir uns sehr wohl fragen: „Was ist das ,Gleiche' an allen Bildern von Escher?“ Sie Strich um Strich aufeinander abzubilden wäre recht
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