Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band
uns, wo diese Kopien innerhalb des Quadrats liegen, und wie sie im Verhältnis zu dem Graphen als ganzem deformiert worden sind. Erst die Kombination dieser beiden Aspekte von INT wird seine Struktur beschreiben. Es ist genau wie bei den Fibonacci-Zahlen, bei denen man zwei Zahlen braucht: eine um die Rekursion, die andere um das Fundament (d. h. die Anfangswerte) zu definieren. Um ganz konkret zu sprechen: wenn man einen der Fundamentwerte mit 3 statt mit 1 festlegt, erzeugt man eine völlig andere Folge, die als Lucas-Folge bekannt ist:
das 1, 3, 4, 7, 11, 18, 29, 47, 76, 123, ...
das
das „Fundament“ , 11, 18, 29 + 47 = 76
das „Fundament“ , 11, gleiche rekursive Regel
das „Fundament“ , 11, wie für Fibonacci-Zahlen
Was in der Definition von INT dem Fundament entspricht, ist ein aus vielen „Schachteln“ zusammengesetztes Bild (Abb. 33 a), das zeigt, wohin die Kopien zu stehen kommen, und wie sie verzerrt sind. Ich nenne das das „Skelett“ von INT. Um INT aus einem Skelett zu konstruieren, verfährt man für jede Skelett-Schachtel zunächst wie folgt: 1. man legt eine kleine gekrümmte Kopie des Skeletts in die Schachtel, wobei man sich von der inneren gekrümmten Linie leiten läßt; 2. man radiert die umgebende Schachtel und ihre gekrümmte Linie aus. Wenn man das mit jeder Schachtel des ursprünglichen Skeletts durchgeführt hat, erhält man anstatt eines großen Skeletts viele „Baby-Skelette“. Dann wiederholt man den Prozeß mit allen Baby-Skeletten auf der nächst tieferen Stufe. Und so fort und so fort ... Am Ende nähert man sich einem genauen Graph von INT an, ohne ihn je zu erreichen. Indem man das Skelett innerhalb seiner selbst immer wieder einbettet, konstruiert man allmählich den Graphen von INT „aus nichts“. Tatsächlich aber war das „Nichts“ nicht nichts, es war ein Bild.
Um das noch dramatischer zu sehen, stelle man sich vor, man behalte den rekursiven Teil der Definition von INT bei, verändere aber das ursprüngliche Bild, das Skelett. Eine Variante des Skeletts zeigt Abb. 33b, wiederum mit Schachteln, die kleiner und kleiner werden und sich in den vier Ecken verlieren. Wenn man dieses zweite Skelett immer wieder in sich selbst verschachtelt, erzeugt man den Schlüsselgraphen meiner Dissertation, den ich Gplot nenne ( Abb. 34 ). (Übrigens bedarf es außerdem einer gewissen Verzerrung jeder Kopie, aber die Grundidee ist doch die der Verschachtelung.)
Abb. 33.
a)
Das Skelett, aus dem INT durch rekursive Substitutionen konstruiert werden kann.
b)
Das Skelett, aus dem Gplot durch rekursive Substitutionen konstruiert werden kann.
Gplot ist somit ein Mitglied der INT-Familie. Es ist ein entfernter Verwandter, weil sein Skelett völlig verschieden von dem des INT ist — und beträchtlich komplexer. Identisch jedoch ist der rekursive Teil der Definition — und darin liegt die Verwandtschaft.
Ich will den Leser, was den Ursprung dieser schönen Graphen betrifft, nicht zulange im dunkeln lassen. INT — Abkürzung für „interchange“ (Vertauschung) — rührt von einem Problem her, das mit „Eta-Folgen“ zu tun hat, die mit den Kettenbrüchen verwandt sind. Der Grundgedanke bei INT ist, daß die Plus- und Minuszeichen bei einer gewissen Art von Kettenbrüchen miteinander vertauscht werden. Als Folge davon ist INT(INT( x )) = x. INT hat die Eigenschaft, daß wenn x rational ist, dann ist es auch INT( x ); ist x quadratisch, dann ist es auch INT( x ). Ob diese Tendenz auch für höhere algebraische Grade anhält, weiß ich nicht. Eine andere hübsche Eigenschaft von INT ist die, daß es für alle rationalen Werte von x Sprungstellen aufweist, aber für alle irrationalen Werte von x stetig ist.
Gplot rührt von einer hochidealisierten Version der Frage her: „Welches sind die zulässigen Energien von Elektronen in einem Kristall in einem magnetischen Feld?“ Dieses Problem ist interessant, weil sich in ihm zwei sehr einfache und fundamentale physikalische Situationen kreuzen: ein Elektron in einem perfekten Kristall und ein Elektron in einem homogenen magnetischen Feld. Diese beiden einfacheren Probleme sind eingehend erforscht, und ihre charakteristischen Lösungen scheinen miteinander beinahe unvereinbar.
Deshalb ist es von beträchtlichem Interesse, zu beobachten, wie die Natur es fertigbringt, sie miteinander in Einklang zu bringen. Nun ergibt es sich, daß die Situation „Kristall ohne
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