Göring: Eine Karriere (German Edition)
jeden Montag seine »Sprechstunde« abzuhalten pflegte. Fasziniert lauschte er, als Hitler seinen Standpunkt wiederholte: Versailles sei eine Schande, aber ohne den Nachdruck der Bajonette bliebe jeder Protest sinnlos und Worte allein würden keinem Gegner den Schlaf rauben. Dieser Abend, behauptete Göring später, habe über sein weiteres Leben entschieden. In Hitler habe er den Anführer gefunden, der »Wort für Wort aus meinem Herzen« sprach. »Vom ersten Augenblick, da ich ihn sah und hörte, war ich ihm verfallen mit Haut und Haar.« Kurz entschlossen trat er der NSDAP bei und ließ sich bei Hitler melden. Er hatte seinen neuen Kaiser gefunden.
Sosehr Göring sich bemüht hat, seine Entscheidung für Hitler als einen Moment der Erweckung zu stilisieren, so deutlich sind doch die materiellen Motive, die seinen Weg in die NSDAP beförderten. Das Verbot einer deutschen Luftwaffe durch den Versailler Friedensvertrag versperrte ihm die ohnehin nicht sehr aussichtsreiche Aufnahme in das 100 000-Mann-Heer der Weimarer Republik. An eine Rückkehr nach Skandinavien, wo er als Pilot gut verdient hatte, war mit Carin kaum zu denken, und finanziell waren beide nicht auf Rosen gebettet. Weder er noch Carin besaßen von Haus aus Vermögen, und die Ersparnisse Görings waren kaum der Rede wert. Unklar ist, wie das Paar überhaupt das gemeinsame Leben und den Kauf des Hauses in Obermenzing finanzieren konnte. Einer Nichte seiner Frau erzählte Göring, Carin habe Geld beschafft, indem sie in ihrer Wohnung in Stockholm eine Auktion veranstaltete und alte Familienerbstücke verkaufte. Vermutlich haben auch Carins Ex-Mann und ihre Familie einen Beitrag zum Unterhalt des Paares beigesteuert. Immerhin hatten beide genug zur Verfügung, um in München halbwegs standesgemäß auftreten zu können und Göring von dem unmittelbaren Druck zu befreien, einen Broterwerb suchen zu müssen. Seine Tastversuche in das zivile Leben, das Studium an der Münchner Universität, blieben zögerlich und wider Willen. Insgesamt sah die Zukunft für ihn nicht rosig aus: Er war ein arbeitsloser Soldat auf der Suche nach einem neuen Betätigungsfeld – in dieser Hinsicht war er Hitler ähnlich. Wie dieser wollte er die Chance nutzen, die sich aus dem politischen Chaos in den frühen Jahren der Weimarer Republik ergab, wie dieser hatte er nichts zu verlieren: »So war ich – ich habe ja keinen Hehl daraus gemacht – von Anfang an bereit, mich an jeder Revolution zu beteiligen, gleichgültig, wo und von wem sie ausging, außer wenn sie von links gekommen wäre«, bekannte er freimütig drei Jahrzehnte später als Angeklagter im Nürnberger Prozess.
Ich sagte ihm: Ich selbst und alles, was ich sei und besäße, stünden ihm vorbehaltlos zur Verfügung.
Göring über das erste Treffen mit Hitler 1922
Man hat mich auf ihn aufmerksam gemacht. Einige Male war er schon im Sprechabend gewesen, er hat mir gefallen. Ich habe ihn dann zum Führer meiner SA gemacht.
Hitler
Auf der anderen Seite ergriff Hitler gerne die Hand, die ihm Göring entgegenstreckte. »Großartig! Ein Kriegsheld mit dem Pour le Mérite – stellen Sie sich vor! Ausgezeichnete Propaganda!«, frohlockte er in vertrauter Runde über den Neuzugang. Auch Görings Kontakte zu den besseren Kreisen der Gesellschaft dürften ihn beeindruckt haben. Die Gegenwart der attraktiven Ehefrau aus echtem schwedischem Adel wirkte wie ein Katalysator für gewisse Eigenschaften Görings, die den Fliegerhauptmann und letzten Kommandeur des »Jagdgeschwaders Richthofen« ohnehin von einem typischen, gewöhnlichen Parteimitglied der NSDAP unterschieden. Aus gutem Hause, weit gereist und mit Beziehungen zumindest in das Vorfeld der guten Gesellschaft, stach Göring aus der Gefolgschaft Hitlers als »Weltmann« hervor. Görings Ansehen versprach Nutzen für die Partei. Der joviale Ordensträger und der fanatische Demagoge – es war wie ein Teufelspakt. Als Hitler dem neuen Gefolgsmann im Frühjahr 1923 die Führung der »Sturmabteilungen« (SA) übertrug, gelobte der gerührt: »Ich vertraue Ihnen im Guten wie im Bösen mein Schicksal an, auch wenn es mich mein Leben kosten sollte.«
Hitlers Partei und Programm interessierten Göring nur am Rande, auch dem glanzlosen Tagesgeschäft als SA-Chef konnte er nur wenig abgewinnen. Zwar machte er aus der verlotterten Sturmabteilung binnen kurzem eine schlagkräftige Privatarmee, doch lieber wandte er sich den angenehmen Seiten des Lebens zu, ließ sich
Weitere Kostenlose Bücher