Göring: Eine Karriere (German Edition)
bis dahin niemand den Keller verlassen. »Bitte, bewahrt Ruhe! Schließlich habt ihr ja euer Bier.« Pfiffe quittierten diese letzte Bemerkung. Göring eilte hinaus, um SA-Männer einzuteilen, die für die Verpflegung der gut 5000 Menschen im Saal sorgen sollten.
»Es muss mit schärfstem Terror vorgegangen werden«: Göring als SA-Führer
Kurze Zeit später betrat Hitler wieder den Keller. Kahr, Lossow und Seisser seien so gut wie gewonnen, verkündete er der wartenden Menge. Reichspräsident und Reichsregierung seien abgesetzt, er selbst werde die Leitung der Politik in einer provisorischen Nationalregierung übernehmen. »Die Herren draußen kämpfen einen schweren Kampf. Kann ich Ihnen sagen, dass Sie sich hinter sie stellen werden?« Unter dem stürmischen Beifall, der nach seinen Worten aufbrandete, führte Hitler Kahr, Lossow und Seisser in den Saal hinein, die eine gute Miene zum bösen Spiel machten und sich zu einigen anerkennenden Worten durchrangen. Kurz nach ihnen betrat, in Hitlers Mercedes eilig herbeigeschafft, General Ludendorff die Szene. Das Erscheinen des berühmten früheren Mitglieds der Obersten Heeresleitung rief einen orkanartigen Jubel hervor. Theatralisch gab Hitler jedem auf der Bühne die Hand. Wie auf einen Wink stimmten die 5000 Menschen im Saal das Deutschlandlied an. Der Coup schien geglückt, die Revolution in Bewegung gesetzt. Göring schickte seiner Frau, die ängstlich wartete, eine Siegesmeldung ans Krankenbett.
Wenige Stunden später war die Revolution kläglich gescheitert. Kaum hatten Kahr, Lossow und Seisser ihre Bewegungsfreiheit wiedererlangt, als sie zum Gegenschlag ausholten. Um 2.50 Uhr morgens setzten sie aus ihrem provisorischen Hauptquartier in der Türkenstraße einen Funkspruch an alle Stationen ab: »Generalstaatskommissar von Kahr, General von Lossow und Oberst von Seisser lehnen Hitlerputsch ab. Mit Waffengewalt erpresste Stellungnahme in Bürgerbräukellerversammlung ungültig. Vorsicht gegen Missbrauch obiger Namen geboten. Kahr, Lossow, Seisser.« Auf ihren Befehl rückten Reichswehr und Landespolizei aus, um die wichtigsten Gebäude der Stadt vor den Putschisten zu schützen. Währenddessen bemühten sich Hitler und Ludendorff vergeblich, mit den vermeintlichen Bundesgenossen das weitere Vorgehen abzusprechen. Bei Tagesanbruch dämmerte den Aufrührern im Bürgerbräukeller, dass sie ganz allein waren. Einige, auch Göring, plädierten nun dafür, sich nach Rosenheim zurückzuziehen und von dort aus die Revolution neu zu organisieren. Ludendorff lehnte dies aus Ehrengründen rundheraus ab, und Hitler stimmte ihm zu. Schließlich wurde beschlossen, einen friedlichen Marsch in die Münchner Innenstadt zu wagen. Er sollte demonstrieren, dass die völkische Revolution noch keineswegs am Ende war und sich nicht verkriechen musste. Gegen Mittag setzte sich der Zug vom Bürgerbräukeller aus in Bewegung. Ein genaues Ziel gab es nicht, ebenso wenig einen Plan, was dort zu tun sei. Keiner wusste, wie weit man kommen würde.
Ganz vorne im Zug, zur linken Seite Hitlers, marschierte Göring an der Spitze der SA. Über dem offenen schwarzen Ledermantel trug er den Stahlhelm mit weißem Hakenkreuz. In geordneten Kolonnen bewegte sich der Zug über die Ludwigsbrücke in Richtung Innenstadt. Unterwegs schlossen sich Sympathisanten den Putschisten an, deren Zahl auf bis zu 3000 anstieg. Am überfüllten Marienplatz wurden die Demonstranten mit Jubelrufen und patriotischen Liedern begrüßt, am Alten Rathaus hatten Anhänger sogar die Hakenkreuzfahne gehisst. Weiter ging es durch die Dienerstraße zum Max-Joseph-Platz, schließlich näherte sich die Spitze des Zuges der Feldherrnhalle, als plötzlich Schüsse fielen. Ein Kordon der Landespolizei, flankiert von gepanzerten Fahrzeugen, war dort in Stellung gegangen und hatte das Feuer auf den Demonstrationszug eröffnet. Die vordere Reihe der Marschierenden fiel getroffen oder von Verletzten und tödlich Getroffenen umgerissen zu Boden – 14 Demonstranten und vier Landespolizisten starben auf dem Platz -, die geordneten Kolonnen lösten sich in Chaos und Schreie auf. Rechts von Hitler brach der Kampfbundführer Scheubner-Richter mit einem Herzschuss zusammen und riss Hitler, der sich bei ihm eingehakt hatte, mit. Unverletzt, aber taumelnd rappelte sich der Rädelsführer hoch und rannte in dem allgemeinen Durcheinander davon. Zurück auf dem Platz, mit anderen Toten und Verwundeten, blieb ein bewegungsloser Göring; um
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