Göring: Eine Karriere (German Edition)
seine erste Phantasieuniform schneidern und zog verächtlich über die »bayerischen Biersäufer und Rucksackträger mit engstirnigem provinziellem Horizont« in der NSDAP her. »Parteifreunde« wie Rudolf Heß oder Alfred Rosenberg behandelte er mit herablassendem Ton, und so verwundert es kaum, dass Göring in der Partei ohne Hausmacht blieb. Ideologie war für ihn »Krams«. Seine Partei hieß Adolf Hitler. Für ihn war er bereit, sein Leben zu riskieren. Mit ihm wollte er an die Macht.
Oben: »Vom ersten Augenblick, da ich ihn sah und hörte, war ich ihm verfallen mit Haut und Haar«: Rede Hitlers in München, Januar 1923
Unten: »Auf Befehl des Führers marschieren«: Der ehemalige kaiserliche »Generalquartiermeister« Ludendorff (mit Pickelhaube) und SA-Chef Göring im September 1923
Wenn ich 1923 vor meinen SA-Männern sprach, da konnte ich nicht viel über Diplomatie sprechen. Das hätten sie nie verstanden, sondern die Frage war ganz einfach: »Los von Versailles«.
Göring, Aussage in Nürnberg
Die Krise des Jahres 1923 schien die Erfüllung seiner Träume in die Nähe zu rücken. Im Januar rückten französische und belgische Soldaten ins Ruhrgebiet ein. Paris und Brüssel wollten sich offiziell nur ein Faustpfand sichern, da Deutschland mit seinen Reparationszahlungen in Rückstand geraten war. Unter der Hand jedoch erhofften französische Politiker, denen der Versailler Friedensvertrag zu mild ausgefallen war, das revanchistische Deutschland auf diesem Wege dauerhaft zu schwächen. Mit militärischen Mitteln sollte das wichtigste deutsche Industriegebiet zunächst wirtschaftlich und dann auch politisch vom übrigen Reich getrennt werden. In Deutschland erhob sich ein einhelliger Aufschrei der Empörung. Die Reichsregierung rief die Bevölkerung des Ruhrgebiets zu passivem Widerstand gegen die Besatzer auf. Die Produktion wurde eingestellt. Da mit der Arbeit auch Lohn und Gewinn entfielen, mussten die Arbeiter und Unternehmer des Ruhrgebiets vom Staat unterstützt werden. Dies geschah durch eine rücksichtslose Aktivierung der Notenpresse. In der Folge schnellte die Inflation in astronomische Höhen. Ende 1923 kostete ein amerikanischer Dollar bereits 4,2 Billionen Mark. Die deutsche Währung war praktisch wertlos geworden. Das Reich schlitterte in eine politische Krise, welche die Existenz der Republik bedrohte. In Sachsen und Thüringen kam es zu kommunistischen Aufständen.
Inmitten der Krise ernannte der bayerische Ministerpräsident im September 1923 Dr. Gustav von Kahr zum Generalstaatskommissar mit diktatorischen Vollmachten. Dieser übernahm gemeinsam mit dem Befehlshaber im Wehrkreis VII (Bayern), General Otto von Lossow, und dem Chef der Landespolizei, Oberst von Seisser, die eigentliche Macht in Bayern. Das adlige Triumvirat knüpfte intensive Beziehungen zu Hitler und anderen völkischen Parteien, die sich in den »vaterländischen Verbänden« sammelten. Ursprünglich ging es darum, dass die SA und andere paramilitärische Verbände die Reichswehr verstärken sollten, wenn, wie erwartet, der passive Widerstand gegen die Besatzer in einen aktiven übergehen würde. Als in Berlin die Regierung Stresemann notgedrungen Verhandlungen mit den Siegermächten aufnahm und den passiven Widerstand an der Ruhr beendete, wurde sie selbst Ziel der rechten Aufrüstung in Bayern. Unter dem Codenamen »Herbstausbildung« wurden ab Ende Oktober SA-Männer in den Kasernen der Reichswehr und Landespolizei ausgerüstet und ausgebildet.
Göring war in diesen Monaten ganz in seinem Element. Im April nahm er gemeinsam mit Hitler eine erste große Parade der SA ab. Stolz schrieb seine Frau ihrem Sohn in Stockholm: »Er hat schwer mit ihnen gearbeitet und ihnen viel von seiner eigenen Tapferkeit und seinem Mut eingeflößt, sodass der einstige Pöbelhaufen, und ich muss gestehen, manchmal ein sehr rauer und schrecklicher, wirklich zu einer Armee des Lichts, in eine Schar eifriger Kämpfer verwandelt worden ist, bereit, auf Befehl des Führers zu marschieren, um dieses unglückliche Land wieder frei zu machen …« Inmitten des Aufbruchs fiel ein Schatten auf Görings Leben. Am 15. Juli starb seine Mutter Franziska. Bei ihrer Beerdigung auf dem Münchner Waldfriedhof holte sich seine Frau Carin eine ernste Lungenentzündung. Ihre Krankheit zwang sie zu einem längeren Genesungsurlaub in Schweden, von wo sie – gesundheitlich immer noch nicht völlig wiederhergestellt – erst im Oktober nach
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