Göring: Eine Karriere (German Edition)
deutschen Wirtschaft machte. Als »Beauftragter für den Vierjahresplan« war er weisungsbefugt gegenüber allen anderen Wirtschafts- und Kriegswirtschaftsbehörden. Im Auftrag Hitlers sollte er in seinem neuen Amt »Nahrungsfreiheit für das deutsche Volk erkämpfen«, vor allem aber Rohstoffe und Devisen beschaffen, um die Rüstung voranzutreiben und nach dem Motto Hitlers den »Krieg im Frieden« vorzubereiten. Nur die Eroberung von neuem Lebensraum, so ein geheimes Memorandum Hitlers im selben Jahr, könne den Mangel an Rohstoffen dauerhaft beheben. Um dieses Ziel zu erreichen, müssten die Wehrmacht und die gesamte Wirtschaft in vier Jahren kriegsbereit sein. Einwände ließ der Diktator nicht gelten. Wirtschaftsprobleme waren für Hitler »Willensprobleme«, und nur Göring traute er diesen starken Willen zu. »Er ist der beste Mann, den ich habe, … ein Mann von Entschlossenheit, der weiß, was gefordert wird, und es durchsetzt.«
»Kanonen statt Butter«: Göring verkündet am 28. Oktober 1936 im Berliner Sportpalast den Vierjahresplan
Die neue Devise lautete, Kanonen statt Butter: Flugzeuge, Panzer, Schiffe waren nun wichtiger als privater Konsum oder solide Staatsfinanzen. Die Warnungen und Beschwerden Schachts wischte Göring vom Tisch. Wie zu Beginn der Diktatur setzte er auch jetzt alles daran, Hitlers Politik gegen jedweden Widerstand durchzupeitschen. Wer eins und eins zusammenzählte, musste erkennen: Die maßlose Rüstung legte den Entschluss zum Krieg zwanghaft nahe, sollte der Staatsruin vermieden werden. »Es ist kein Ende der Aufrüstung abzusehen«, schrieb Göring im Dezember 1936 führenden Industriellen ins Stammbuch. »Wenn wir siegen, wird die Wirtschaft genug entschädigt werden. … Es darf nicht kalkuliert werden, was kostet es. … Wir spielen jetzt um den höchsten Einsatz. Was würde sich wohl mehr lohnen als Aufträge für die Aufrüstung?« Noch konkreter wurde er am 2. Dezember 1936 vor Führungskräften der Luftwaffe: »Die allgemeine Lage ist sehr ernst, Ruhe ist bis 1941 erwünscht. Wir können aber nicht wissen, ob schon vorher Verwicklungen kommen. Wir befinden uns bereits im Kriege, nur wird noch nicht geschossen.«
Die von Göring geführte Wirtschaftspolitik nach der Losung »Krieg im Frieden« forderte im Alltag ihren Tribut. Die in schwindelerregende Höhen steigenden Rüstungsausgaben gingen zu Lasten von Wohnungsbau und Lebensmittelversorgung. Es mangelte an Rohstoffen und Devisen und bald auch an Arbeitskräften. Schon vor Kriegsbeginn fehlten dem vermeintlichen »Volk ohne Raum« die Menschen für die Rüstungspläne des Regimes. Vor allem das Eisenerzproblem bereitete Göring Kopfzerbrechen. Als sich Eisen und Stahl im Juli 1937 dramatisch verknappten und die private Wirtschaft der Krise nicht Herr zu werden drohte, trieb Göring die Nazifizierung der Ruhrindustrie handstreichartig voran. Mit den »Reichswerken Hermann Göring« ließ der Namenspatron in Salzgitter den größten Stahlkonzern Europas aus dem Boden stampfen und die dazugehörige Stadt unter dem bescheidenen Namen »Hermann-Göring-Stadt« auf dem Reißbrett entwerfen – vorläufiger Höhepunkt eines mittlerweile krankhaften Selbstdarstellungsdrangs. Diesen ruinösen Rüstungswahn des pfauenhaften Dilettanten wollte Hjalmar Schacht nicht länger mittragen. Im November 1937 nahm der Minister seinen Hut – ein Triumph, den Göring, für kurze Zeit Schachts Nachfolger, weidlich auskostete. Höhnisch ließ er seinen entmachteten Konkurrenten am Telefon wissen: »Ich sitze jetzt auf Ihrem Stuhl.«
Görings »Machtergreifung« in der Wirtschaft nährte zahlreiche Spekulationen. Viele Beobachter, auch im Ausland, sahen in ihm bereits den »Defacto-Reichskanzler des Dritten Reichs«, der unter Hitlers Oberhoheit die Regierungsgeschäfte führte. Diese Deutung wurde durch andere Indizien untermauert. Da Hitler das Reichskabinett nur noch selten zusammenrief, übernahm Göring in seiner Eigenschaft als preußischer Ministerpräsident einen guten Teil von dessen Aufgaben. In den regelmäßigen Sitzungen des preußischen Ministerrates, die er leitete, wurden viele Reichsgesetze vorbereitet. Oft genug nahmen Reichsminister wie Schacht, Gürtner oder selbst Außenminister von Neurath an den Besprechungen teil, wenn Themen ihres Ressorts behandelt wurden. Auch Spitzenfunktionäre wie der Reichsführer-SS Heinrich Himmler folgten Görings Einladung. Durch sein Ausgreifen in die Wirtschaftspolitik hatte er
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