Göring: Eine Karriere (German Edition)
betrat, sah ich in der Ecke zwei kleine Mädchen spielen, die Edda mit ihrer Freundin. Dann sehe ich hier eine erleuchtete Lampe und einen Sitz, und da sitzt jemand. Ich melde mich militärisch korrekt. Unter einer rosig abgeschirmten Lampe erhebt sich eine Gestalt, kommt aus einem wunderschönen Sessel, hält ein in rotes Saffian gebundenes Lesebuch in der Hand. Ich denke, ist das nun Nero II., oder ist das ein chinesischer Mandarin? [Gelächter] Es ist Hermann in einem Mantel, der bis zu den Knöcheln reichte und weit und füllig war, in einem seidenen Plüschgrün, mit Goldemblemen bedruckt, mit sehr vielen Falten in den Ärmeln gerafft, mit einem goldenen Gürtel, mit einem goldenen Saum zusammengebunden, mit goldenen Quasten hier herunterfallend, mit Lackpumps an den Füßen, das Haar in Wellen onduliert und das Gesicht rosig voller Öl. Eine Wolke der ganzen Wohlgerüche des Orients und Okzidents strömte einem so halb entgegen und so über seinen großen Wangenknochen: ›Na, Ramcke, wie geht es Ihnen denn?‹ Damit sackte er in seinem großen Sessel zurück …«
Göring kann als eine gefallene Größe angesehen werden.
Goebbels, Tagebuch, 16. September 1944
Während der Besprechung setzte Ramcke seinem Vorgesetzten die schwierige Lage in der Luftwaffenausbildung auseinander. Göring ließ den anwesenden Bruno Loerzer einige Notizen machen. Mitten in der Unterhaltung kam die kleine Edda angelaufen: »Ach, Vatchen, Vatchen, meine ganze Perlenschnur ist aufgegangen, guck einmal her, ich habe sie alle wiedergefunden.« Augenblicklich schien Göring das dienstliche Treffen mit Divisionskommandeur Ramcke zu vergessen. Zärtlich beugte er sich zu Tochter Edda hinunter: »Oh, deine schöne Perlenkette – und gib dem Vatchen noch einen dicken Kuß.« Um seinen Ärger hinunterzuspülen, genehmigte sich Rahmke nach dem Gespräch draußen erst einmal einige Gläser Portwein. Als Görings Adjutant kurz darauf zu ihm trat und ihn bat, noch eine Viertelstunde zu warten, dann könne er mit seinem Auto einen der Kunstexperten des Reichsmarschalls nach Berlin zurücknehmen, war es um Ramckes Beherrschung geschehen. »Was!? Ich soll auf so einen ollen Kunstexperten warten? Fällt mir gar nicht ein, lassen Sie den zu Fuß nach Berlin laufen, ich haue jetzt ab! Auf Wiedersehen!«
Görings Ansehen sank mit jeder Niederlage. Man nahm ihn vielfach nicht mehr für voll. Die US-Luftwaffe flog im Frühjahr 1944 vier Angriffe auf Berlin. Die Talfahrt der deutschen Luftwaffe schien allerdings für einen Moment gebremst werden zu können, als es Görings Jägern am 31. März gelang, einen Angriff der Briten auf Nürnberg zu verhindern. Auch die Luftrüstung konnte wieder eine Leistungssteigerung vermelden, insbesondere die Jägerproduktion erreichte einen neuen Höchststand. Im Frühjahr wurde eine riesige unterirdische Flugzeugproduktionsstätte im Harz fertig, in der monatlich 1000 Düsenflugzeuge vom Typ Me 262 sowie fliegende Bomben fertig gestellt werden sollten. Doch die Atempause dauerte nicht lange an. Am 12. Mai startete die 8. »Air Division« der US-Luftwaffe eine Serie von Angriffen auf die Treibstoffwerke im Zentrum und im Osten Deutschlands. An jenem Tag wurde, wie es Albert Speer in seinen Erinnerungen formuliert, »der technische Krieg entschieden«. Bis dahin war es den deutschen Rüstungsbetrieben immer noch gelungen, ungefähr die Menge an Waffen zu produzieren, die die Wehrmacht brauchte. Damit war es schlagartig vorbei.
»Luxuriöse Parallelwelt«: Trotz der sich immer weiter verschlechternden Kriegslage pflegte Göring seine privaten Interessen. Mit Tochter Edda in Carinhall
Die neue Epoche des Luftkriegs bedeutete das Ende der deutschen Rüstung. Infolge permanenter Angriffe durch die Alliierten sollten bis Ende Juni 1944 neun Zehntel der Flugtreibstoffproduktion ausfallen. Darüber hinaus litt die Luftrüstung unter dem Schlingerkurs der Luftwaffenführung. Göring vertrat in der Frage, ob der Produktionsschwerpunkt auf Jäger oder Bomber zu legen sei, keinen eigenen Standpunkt. Dem Rat seines Stabes widersprechend, unterstützte er Hitler, der Bombern den Vorrang gab. Monatelang zog sich das Gerangel um den Einsatz des ersten serienreifen Strahlflugzeugs hin. Erst im Spätsommer 1944 wurden die ersten kaum ausgetesteten Me 262 als »Blitz-Bomber« und die Arado 234, ein 800 Stundenkilometer schneller zweistrahliger Bomber, an die Luftwaffe ausgeliefert – zu spät, um noch mit der alliierten
Weitere Kostenlose Bücher