Göring: Eine Karriere (German Edition)
Wehrmacht den »deutschen Gruß« einzuführen – eine Idee, die die Zustimmung des Diktators fand.
Oben: »Wie durch ein Wunder ist der Führer unversehrt geblieben«: Göring besichtigt die zerstörte Lagebaracke
Unten: »Völlige Überraschung«: Keitel, Göring, Hitler und Bormann kurz nach dem Attentat Stauffenbergs
Kurz nach dem dramatischen Attentatsversuch inspizierte Göring sein Begleitregiment, das zu jener Zeit an die Ostfront verlegt wurde. Auf einer großen Waldwiese in der Rominter Heide mussten sich die Soldaten immer wieder umgruppieren und neu antreten. Vor den Augen der schließlich stramm stehenden Ehrenformation gab es absurde Bemühungen, dem stark übergewichtigen Göring mithilfe von Holzbohlen einen Weg durch das Naturgelände zu bahnen, damit er ungehindert die Front abschreiten konnte. Zeitzeuge Dieter Wellershoff erinnert sich genau an seine einzige persönliche Begegnung mit dem Reichsmarschall: »Er ging anderthalb Meter vor mir an den Reihen vorbei, ganz dicht, und sagte immer das Gleiche. Er sagte: ›Wo ich vorbei bin, kann gerührt werden.‹ Und er sah uns dabei in die Augen, aber die Augen sahen nichts. Das war der Blick eines Menschen, der gar nicht ganz da war. Irgendwie glasig, völlig glasig sah er aus.« Anschließend richtete der Reichsmarschall das Wort an seine Soldaten. Von dem, was Göring sagte und vor allem, wie er es sagte, war der junge Wellershoff tief schockiert: »Nachdem er die ganze Front der drei Kompanien abgeschritten war, ging er in die Mitte und dann brüllte er eine Rede mit relativ starker Stimme noch, die nur aus Klischees und Phrasen bestand. Man merkte, dass er unter Druck stand. Es war ja gerade der 20. Juli gewesen. Stalingrad und der Zusammenbruch der Heeresgruppe Mitte lagen hinter uns. Und dann sprach er von Verrätern, die den Zusammenbruch an der Ostfront verursacht hätten. Brüllte das raus. Es war völlig unglaubhaft. ›Aber ihr werdet dem Gesindel der russischen Infanterie jetzt in den Arsch treten!‹ Das war sozusagen die Eröffnung einer Schimpfkanonade. Dann aber sagte er: ›Wenn aber das Schicksal gegen uns sein sollte und der Russe in diese Provinz hineinkommt, dann darf das nur möglich sein, wenn keiner von euch mehr am Leben ist.‹ Das hat mich sehr von ihm entfernt, muss ich sagen. Der kalkulierte einfach damit, dass wir alle sterben würden! Und ich verspürte den Wunsch, den ich schon, als ich Soldat wurde, in mir gefühlt hatte: Ich will diesen Krieg überleben, ich habe noch gar nicht gelebt! Ich will diesen Krieg überleben!« Göring, so Zeitzeuge Wellershoff treffend, hatte eine »Kraftprotz-Rede aus der Ohnmacht heraus« gehalten und war dabei erschreckend vulgär geworden.
Im Spätsommer 1944 war Görings Luftwaffe in Auflösung begriffen. Der Freundeskreis des Reichsmarschalls schmolz mehr und mehr zusammen. Das Parteidossier über die Missstände in der Luftwaffe wuchs von Tag zu Tag. Ab September begann Görings Geschwadern der Treibstoff auszugehen. Monatlich wurden nur noch 7000 Tonnen synthetisches Benzin produziert, der Bedarf lag bei 150 000 Tonnen. Der Mangel war nun so dramatisch, dass bei Fliegeralarm in Obertraubling, dem Werkflugplatz der Messerschmitt AG, die abnahmebereiten Maschinen mit Pferden und Ochsen in Deckung gezogen werden mussten. Am 5. September zitierte Hitler den Reichsmarschall in die »Wolfsschanze«. Göring musste sich maßlose Vorwürfe wegen der katastrophalen Zustände in der Luftwaffe anhören. Anstatt sich seinen Widersachern zu stellen, zog sich Göring schmollend nach Carinhall zurück. Am 19. September eroberten die Amerikaner die von Görings Fallschirmjägern verteidigte französische Festungsstadt Brest. Erneut ließ der »Führer« den Reichsmarschall antreten. Die Stimmung in der »Wolfsschanze« war eisig. Unter vier Augen verlangte Hitler von Göring, den Generalstab der Luftwaffe und die Akademie der Teilstreitkraft aufzulösen. Als dieser Stunden später wieder erschien, wirkte er gebrochen und erledigt. Mit der Hilfe Werner Kreipes, des neuen Generalstabschefs der Luftwaffe, gelang es Göring, das Verdikt abzuwenden. Wenig später versuchte Hitler einen starken zweiten Mann an Görings Seite zu stellen. Auch diesen Angriff auf seine Autorität konnte der Reichsmarschall noch abwehren. Im Einzelfall war Hitler also immer noch bereit, seinem alten Weggefährten nachzugeben. »Es ist entsetzlich, welche Winkelzüge man machen muss, um Görings Prestige nicht zu
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