Göring: Eine Karriere (German Edition)
seinen Trinkspruch auf ihn als ›einen der größten Deutschen‹ aus. Funks begeisterte Worte kontrastierten auf groteske Weise mit der tatsächlichen Lage: Vor dem Hintergrund des drohenden Untergangs des Reiches spielte sich eine gespenstische Feier ab.«
Es kommt in unserer Lage darauf an, Jäger und nochmals Jäger zu bauen. Dazu Schnellbomber. Der Luftschirm über der Heimat und der eigenen Infanterie muss endlich sichergestellt sein. Der damit verbundene langjährige Verzicht auf eine operative Luftwaffe muss in Kauf genommen werden.
Hitler, Juni 1944
Mochte Göring in der Scheinwelt Carinhalls auch für kurze Zeit den Krieg vergessen, so brach dieser 1944 noch brutaler über Deutschland herein als im Jahr zuvor. Das fünfte Kriegsjahr brachte eine unvorstellbare Zerstörung über die meisten deutschen Städte, aber zugleich eine, wenn auch nur temporäre, Leistungssteigerung der deutschen Luftwaffe. Von Hitler unter Druck gesetzt, begann Göring mit seinen Vergeltungsschlägen gegen die britischen Inseln. Immer direkter und verletzender zeigte der »Führer« jetzt seine Wut über das Versagen der Luftwaffe und seine wachsende Verachtung für Göring. Der Reichsmarschall musste außerdem hinnehmen, dass sein junger Rivale Albert Speer das riesige Rüstungsimperium endgültig unter seine Kontrolle brachte. Erhard Milch sah die Wende kommen und machte Anstalten, in Speers Lager zu wechseln. Zähneknirschend gab Göring eine Kompetenz nach der anderen an den jüngeren Rivalen ab. So ließ er Anfang des Jahres zu, dass die gesamte Elektronikforschung dem Rüstungsministerium übertragen wurde. Doch auch seine Konzessionen halfen nichts mehr. Göring vermochte die langsame Erosion seiner militärischen und politischen Machtstellung nicht mehr aufzuhalten. 1944 gewannen seine Widersacher endgültig die Oberhand.
Oben: »Kombinierte Bomberoffensive«: In der Endphase des Krieges griff die US-Luftwaffe bei Tag an, die Briten kamen in der Nacht
Unten: »In dem ungleichen Kampf fast keine Chance«: Die deutschen Nachtjäger konnten die alliierten Bomberstaffeln nicht aufhalten
Am 21. Januar 1944 startete Göring auf Befehl Hitlers die »Operation Steinbock«. Es sollte ein »Neujahrsgeschenk« der besonderen Art sein: Nun sollte England vor den deutschen Bomben zittern. Zwischen Mitte November und Mitte Dezember 1943 hatte die Royal Air Force viermal die Reichshauptstadt angegriffen. Arthur Harris wollte Berlin ausradieren und den deutschen Gegner so in die Knie zwingen. Hitler schäumte und verlangte Vergeltungsschläge. Doch das Unternehmen scheiterte kläglich. Von 270 Maschinen, die am ersten Tag der »Operation Steinbock« starteten, fanden nur 95 ihr Ziel. Bis Mitte April befahl Göring insgesamt 31 Angriffe – nicht mehr als Nadelstiche gegen die britische Luftverteidigung. Spöttisch nannten die Engländer die deutschen Angriffsbemühungen denn auch »babyblitz«. Im Februar 1944 holten die Alliierten zu einem neuen Schlag aus. In der so genannten »big week« flogen US- und RAF-Bomber jeweils abwechselnd am Tag und bei Nacht, um der Luftwaffe Görings endgültig das Lebenslicht auszublasen. Die Angreifer trafen die deutsche Flugzeugindustrie schwer und bombten zahlreiche Werke in Grund und Boden.
Immer deutlicher distanzierte sich Göring von einem Krieg, über dessen Ausgang er sich schon längst keine Illusionen mehr machte. Wie üblich, wenn es ihm zu viel wurde, wenn er entnervt war oder sich entmutigt fühlte, verschwand der Reichsmarschall wieder einmal von der Bildfläche. Er zog sich ins Private zurück und verschanzte sich in einer luxuriösen, fast märchenhaft anmutenden Parallelwelt. Niemand protestierte extravaganter gegen den Krieg als Göring. Mitten in der »big week« gönnte sich der Oberbefehlshaber der Luftwaffe einen dreiwöchigen Urlaub auf Burg Veldenstein. Dann wieder weilte er in Carinhall. Mitte Februar 1944 hatte sich dort der General der Fallschirmtruppen und Festungskommandant von Brest, Bernhard Ramcke, zu melden. Ramcke geriet im Herbst 1944 in alliierte Gefangenschaft und wurde in das Sonderlager Trent Park bei London gebracht, wo die Briten heimlich die Gespräche der inhaftierten Wehrmachtgeneräle belauschten. Unter dem schallenden Gelächter seiner Mitinsassen schilderte Ramcke die Begegnung mit Göring: »Während ich nach mehrstündiger Wartezeit – der Reichsmarschall hatte bei meiner Ankunft noch nicht ausgeschlafen – den Prachtbibliothekssaal
Weitere Kostenlose Bücher