Göring: Eine Karriere (German Edition)
lädieren, andererseits aber das für den Krieg dringendst Notwendige zu tun«, notierte Hitlers Propagandachef Goebbels am 23. September in sein Tagebuch: »Man möchte manchmal glauben, dass Göring der Kronprinz wäre, von dem jedermann weiß, dass er nichts taugt, den man aber... nicht absetzen kann. Der Führer hat Göring in guten Zeiten zu groß werden lassen; jetzt, in schlechten Zeiten, hängt er ihm wie ein schweres Bleigewicht am Bein.«
Auch wenn er ihn nicht fallen ließ, nutzte Hitler jede Gelegenheit, Göring zu demütigen. Rücksichtslos schloss er Görings neuen Generalstabschef, Werner Kreipe, den er nicht mochte, vom Lagevortrag im Hauptquartier aus. Der »Führer« verachtete »den Dings«, wie er Göring jetzt oft titulierte, und zog nun auch über dessen eigenwilligen Kleidungsstil her. Göring fühlte sich aufs Äußerste bedrängt. In den letzten Monaten des Jahres 1944 empfand er eine geradezu physische Angst davor, wieder einmal einen dieser entsetzlichen Ausbrüche im »Führer«-Hauptquartier über sich ergehen lassen zu müssen. Der Oberbefehlshaber der Luftwaffe war in einer ausweglosen Situation. Einerseits hatte er nichts in der Hand, um die Vorwürfe Hitlers abzuweisen, andererseits konnte er unmöglich seine Meinung über die tiefer liegenden Ursachen für das Versagen der Luftwaffe äußern. Er hätte dafür ins Grundsätzliche gehen, Hitlers Kriegführung und Politik insgesamt infrage stellen müssen. Das aber hätte unweigerlich den Bruch bedeutet. So blieb Göring nichts als tiefe Resignation. Er wäre »am liebsten tot«, gestand er einem seiner Vertrauten.
Oben: »Die Luftwaffe war in Auflösung begriffen«: Wegen Treibstoffmangels konnten die deutschen Jagdflieger im Laufe des Jahres 1944 immer seltener aufsteigen
Unten: »Alle Jagdflieger zur Infanterie«: Göring beleidigte seine Soldaten, während die Propaganda weiterhin von der »Verbundenheit des Reichsmarschalls mit seinen Männern« (Originaltext) tönte
Jedes Mal, wenn ich Hitler gegenüberstehe, fällt mir das Herz in die Hose.
Göring
Im Oktober kehrte Göring nach Ostpreußen zurück. Ein letztes Mal ging er in der Rominter Heide auf Jagd. Sein Gefühl sagte ihm, dass er in der Nähe der »Wolfsschanze« bleiben musste, um seinen Widersachern besser auf die Finger sehen zu können. Himmler und Bormann hatten sich nämlich inzwischen zusammengetan, um systematisch gegen Göring zu intrigieren. In jenen Wochen fluteten die ersten Flüchtlingstrecks durch Ostpreußen nach dem Westen. Am 21. Oktober erreichten die Russen die Rominter Heide. Mit Brachialgewalt versuchte Göring, das Letzte aus seiner Luftwaffe herauszuholen. Am 26. Oktober versammelte sich die Führungsriege der Luftwaffe in Berlin. An der Veranstaltung im Hauptquartier der Luftflotte Reich nahmen alle Gruppenkommandeure und von jeder Gruppe ein Staffelkapitän teil. Der Reichsmarschall hielt eine flammende dreistündige Ansprache. Er wollte seine Leute anfeuern, doch stattdessen hielt er ihnen eine Standpauke. Mit großer Verbitterung warf er den Piloten vor, sie seien feige. Adolf Galland, der »Angriffsführer England«, Oberstleutnant Dietrich Peltz und die zu Bomberpiloten umgeschulten Flugzeugführer sowie alle Jagdpiloten hörten Görings Drohungen: »Beim nächsten Einsatz 5000 Bomber abschießen, sonst kommen alle Jagdflieger zur Infanterie.« In einer theatralischen Geste nahm Göring alle seine Orden ab und erklärte, er werde so lange nur den Pour le Mérite tragen, bis seine Piloten wieder feindliche Flugzeuge abgeschossen hätten.
Unter den Anwesenden befand sich auch Johannes Steinhoff, ein hochdekorierter Jagdflieger, der nach 1945 in der Bundeswehr und später in der NATO Karriere machte. Wie er konnten auch andere der Zuhörer nur mühsam ihre Gefühle beherrschen: »Während er so unkontrolliert wutschnaubte, ergriff mich tiefe Scham. Wie konnte er dies im Beisein der Bomber, Aufklärer und Transportflieger tun? Was hatte er vor? Glaubte er wirklich, dass solch zynische Anklage Kampfgeist und Einsatzwillen wecken könne? In dem großen Saal hätte man in den kurzen Atempausen seines Redeschwalls eine Nadel fallen hören. Die meisten Zuhörer starrten auf den Boden und versuchten ihre Empfindungen hinter unbeteiligter Miene zu verbergen. Dann entdeckte ich auf dem Rednerpult Mikrofone. Die Kabel liefen von dort in eine Kabine, wo Techniker hinter schalldichten Scheiben hantierten. Die ganze Hasstirade wurde auf
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