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Gößling, Andreas

Gößling, Andreas

Titel: Gößling, Andreas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tzapalil - Im Bann des Jaguars
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Maiskolben aufzuspießen. »Maria«, wiederholte Carmen, »bitte sag ihnen, dass du gehen wirst!«
    »Aber ich denke ja gar nicht dran!« Vor Empörung schien Maria auf einmal ganz munter. Sie runzelte die Stirn und hob die Augenbrauen so hoch, dass sie fast unter ihren Stirnfransen verschwanden.
    »Wenn ich nicht so blöd gewesen wäre, Cingalez diese Stausee-Sache zu überlassen, dann wäre das ganze Durcheinander ja gar nicht passiert!«
    »Warum hast du ihn denn da rausgeschickt?«, fragte Carmen. Es war kein besonders günstiger Moment, um sich über solche kniffligen Einzelheiten zu unterhalten. Schon trat der bullige Priester wieder mit finsterer Miene auf sie zu. Aber einen besseren Moment würde es für sie vielleicht nicht mehr geben. Jedenfalls nicht mehr in diesem Leben, dachte Carmen. »Warum bist du denn nicht selbst gegangen?«, fragte sie weiter. »Schließlich bist du ja die Chefin in eurem Archäologenladen.«
    Maria zuckte mit den Schultern. »Tja, da war wohl eine Menge Wunschdenken im Spiel.« Sie stülpte die Lippen vor und pustete sich ein paar Spinnweben aus der Stirn. »Du weißt ja, wie lange Georg und ich uns schon wünschen endlich mal jeder ein großes Projekt im gleichen Land zu bekommen. Und diesmal waren wir so kurz vorm Ziel! Da wollte ich doch nicht diejenige sein, die entdeckt, dass sein Kraftwerk da draußen am Petén womöglich gar nicht gebaut werden darf. Also hab ich mich für befangen erklärt. Und dann die Daumen gedrückt, cariña, dass Cingalez da draußen wirklich nichts findet. Tja – und manchmal scheint das Wünschen halt doch zu helfen.«
    Sie hatte kaum fertig geredet, da fauchte der riesige Maisgottpriester wieder einen Befehl. Ein halbes Dutzend stämmiger Priester in gelben Gewändern sprangen herbei. Sie packten Maria, Pedros Vater und Carmen bei den Armen und zerrten sie hoch.
    »Sie wollen nicht länger warten«, erklärte Xavier Gómez. »Wir können uns nicht entscheiden, also sollen wir doch alle sterben.«
    Die Priester schleiften sie auf die Maissäule zu. Auch Pedro wurde wieder bei den Schultern gepackt, aber diesmal wehrte er sich verzweifelt. Auch Carmen bäumte sich unter den Händen der beiden, die sie zur Säule hinzerrten. »Dann soll dein Vater eben gehen, Pedro!«, schrie sie. Aus der Nähe sahen die Dornen an den riesigen Maiskörnern noch viel grässlicher aus. So lang wie ein Zeigefinger, so spitz wie eine Nähnadel. »Wir sind doch hier das einzige Liebespaar, oder? Ich will nicht allein hier weggehen! Ich kann das nicht!
    Dich hier zurücklassen – das geht einfach nicht! Ja, begreift das doch endlich! Bitte, Señor, gehen Sie!« Sie drehte sich zu Pedros Vater herum und wollte ihn eben aufs Neue anflehen, damit er als Einziger sein Leben rettete, als sie auf einmal Ixkasaj sah.
    Die oberste Mondgottpriesterin stand am Rand des Pyramidendachs, ziemlich genau dort, wo die hölzernen Stufen an der Außen-wand hochführten. Aufmerksam sah Ixkasaj nach unten, und während Carmen sie genauso gespannt beobachtete, hatte sie auf einmal ein ganz seltsames Gefühl.
    Im nächsten Moment erschien da drüben Ixkulams Gesicht. Die junge Priesterin sah völlig erschöpft aus. Ihr Haar war nass geschwitzt, ihr Gesicht grau vor Müdigkeit. Mit einem unsicheren Schritt trat sie von der obersten Holzstufe aufs Pyramidendach. Sie musste sich sogar an Ixkasajs Arm abstützen, so schwach schien sie auf den Beinen. Aber dann schüttelte sie den Kopf, als Ixkasaj sie bei den Schultern fassen wollte, und lief allein, wenn auch mit wackligen Schritten über das Pyramidendach auf die Opferstätte zu. Die vielen Priester und Priesterinnen, die hier oben versammelt waren, um endlich die Opferung der vier bleichen Vernichter zu sehen, traten zur Seite und machten ihr Platz. An ihren Gesichtern war abzulesen, dass sie überhaupt nicht ahnten, was diese junge Priesterin der Mondgöttin Ixchel da möglicherweise im Arm hielt. Zu sehen war nur ein dreckiges Bündel, schlammverkrustet und so nass, dass sich hinter Ixkulam eine Spur aus dunklen Tropfen bildete. Die jungen Maisgottpriester machten Anstalten, Pedro, Carmen und die anderen weiter zur Maissäule zu schleppen. Aber ein gefauchter Befehl ließ sie wieder innehalten und dann bewegte sich auf dem großen Pyramidendach überhaupt niemand mehr außer Ixkulam.
    Aber wie konnte es denn sein, dachte Carmen, dass ihr Gefühl sie diesmal so getäuscht hatte? Es verwirrte sie so sehr, dass sie gar nicht wusste, was sie sich

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