jetzt wünschen sollte. Sie spürte doch, dass Ixkulam eine Betrügerin war. Wieso war sie doch noch zurückgekommen?
Ixkulam torkelte jetzt mehr, als dass sie ging. Krampfhaft presste sie das tropfnasse Schlammbündel an ihre Brust. Wie angewurzelt standen die obersten Priester neben der Opferstätte und starrten ihr entgegen. Der riesige Maisgottpriester, neben dem der Lahkin fast wie ein Zwerg wirkte. Zwei Schritte vor den beiden geriet Ixkulam ins Stolpern. Sie ruderte mit den Armen, das Bündel fiel zu Boden und fast gleichzeitig fiel auch Ixkulam auf die Knie. Sie stammelte irgendetwas und versuchte mit fahrigen Fingern, das dreckige Tuch auseinander zu ziehen. Anscheinend hatte es sich verknotet oder ihre Hände waren zu ungeschickt vor Nervosität. Jedenfalls kämpfte sie eine Ewigkeit lang mit dem Bündel, in dessen Innerem es immer wieder mal leise klirrte, und währenddessen redete sie wie rasend auf die obersten Priester ein.
»Sie sagt, tötet mich, nicht diese vier Leute da«, übersetzte Pedro. »Ich bin eine Betrügerin, genauso wie Paolo Cingalez ein Betrüger ist. Ich habe gegen die Götter gefrevelt, ich habe euch alle verraten, dafür muss ich sterben. Bitte tötet mich.« Immer noch kniend, drehte sie sich auf dem Boden herum und zerrte das Bündel mit sich.
Ihre Augen waren weit aufgerissen, ihr Blick suchte anscheinend Ixkasaj. »Cingalez hat mich letztes Jahr in Guatemala City angesprochen und mir gesagt, dass ich hierher nach Tzapalil kommen sollte.
Ich sollte behaupten, dass mir die Göttin im Traum erschienen wäre, und sollte mir euer Vertrauen erschleichen. Verzeih mir, Ixkasaj!
Aber nein, was ich gemacht habe, kann niemand verzeihen.« Sie rutschte wieder zurück und zog erneut das klirrende Bündel hinter sich her. »Ich hab’s nur für sein Geld gemacht. Ich hab euch alle verachtet und verabscheut«, flüsterte sie. »Euer blödsinniges Gerede von den alten Göttern und Bräuchen und eure Träume davon, die alten Zeiten wieder aufleben zu lassen. Noch heute früh, als wir bei dem Versteck waren, von dem diese Gringa da geträumt hat« – sie hob einen Arm und zeigte auf Carmen –, »da war ich vollkommen sicher, dass ich dieses Zeug zu Cingalez bringen würde, wie wir es ja seit langem beschlossen hatten. Aber dann…« Sie unterbrach sich und fing an wie wahnsinnig an dem dreckigen Bündel herumzuzerren. »Dann ist mir tatsächlich die Göttin erschienen! Kaum hatten wir das Zeug aus der Erde geholt, da stand sie auf einmal vor mir.
Riesig groß, im Morgennebel. Und hat mir befohlen alles so zu machen, wie ich es hier vor euren Augen ausführe.«
Mit einem Ratsch riss endlich das Tuch auf und mehrere Dinge kullerten klirrend aufs Pyramidendach. »Euch die heiligen Sachen zurückzubringen!«, schrie Ixkulam. »Da, den Rüsselfrosch! Und hier, die Sonnenscheibe. Und die Silbersichel von Ixchel, unserer großen Göttin.« Sie legte die Jadefigur auf die Goldschale, erhob sich schwankend und reichte beides dem Lahkin, der die Sachen mit ausdrucksloser Miene entgegennahm. Das letzte heilige Ding hatte sie zurückbehalten und jetzt hob sie ihre rechte Hand und stieß die Silbersichel Ixchels wie einen Krummdolch blitzschnell auf ihr Herz zu.
»Wa’tal!«, rief Ixkasaj.
»Lass das!«, schrie Carmen.
Wer von ihnen beiden das Wunder bewirkt hatte, blieb unbestimmt. Einen Herzschlag später stand Ixkasaj vor der jungen Priesterin und nahm ihr die Silbersichel aus der Hand. Die Spitze des Mondes war durch ihr Gewand gedrungen, hatte ihr aber nicht mal die Haut aufgeritzt. Es hatte sich angefühlt, wie Ixkulam in den Stunden danach immer wieder erklärte, als hätte eine riesige Hand ihren Arm gepackt und den Sichelstoß im allerletzten Augenblick blockiert. »Die Göttin!«
Am nächsten Morgen flog mit lautem Brummen wieder ein Flugzeug über Tzapalil hinweg. Aber Carmen bekam kaum etwas davon mit, und als sie es endlich doch noch hörte, fragte sie Pedro nur: »Flugzeuge – wozu sollen die überhaupt gut sein?«
Pedro machte wieder mal große Augen und zog die Schultern hoch. Auch Maria und Xavier, die hinter ihnen im Boot hockten, schauten sie nur ratlos an.
»Hier unten sind sie jedenfalls zu gar nichts nutze.« Carmen lenkte ihr Boot über den Cenote von Tzapalil, auf den großen unterirdischen Fluss zu, dessen Strömung sie mit sich zog, tiefer und tiefer in die Unterwelt hinein.
Epilog
Subject: Hey!
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[email protected] Date: 01.12.2004, 5:23 p.m.
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