Goethe
laut gehustet. »Herr Geheimerat scheinen anderer Ansicht?«
Im Nu verwandelte sich der Angeredete. Feuerrot wurde er. Daß der Stuhl laut ächzte, richtete er sich auf. Riß hoch das Haupt empor. Den rechten Ellbogen stemmte er hart in den Tisch. Das Auge, nimmermehr zu bändigen, durchbohrte mit Pfeilblick, nacheinander, jeden der Dreie. Soll ich noch einmal, schien es dabei zu überlegen, all das, was da an Schwarzsucht, Ekel, Widerwille, Galle und Ohnmacht in mir aufgespeichert ist, – soll ich es noch einmal hinunterwürgen? Oder? Da sprach er schon. Nein! Er sei nicht anderer Meinung. »Ich bin ganz Ihrer Meinung!« Und weil der Spund nun aus dem Faß geschlagen war, die Wollust der Explosion schon den Dampf verklärte, ward seine Gestalt mit einemmal gelöst. Strotzte das Auge, endlich entladen, von Lebensfeuer. Entspannten sich die Züge. Sank von den Gliedern jede Steifheit. »Ich sehe nur auch die Kehrseite, das Aber.«
»Das sehe ich auch!«
»Exzellenz sprach wohl davon?« hauchte Schnauß.
»Gewiß. Ich aber sehe es anders! Natürlich: ein Staat, und wäre er auch der kleinste, wird nicht in einem Menschenalter hochgebracht. Ich diene kaum elf Jahre. Und auch ich bin noch nicht ganz ohne Hoffnung. Nicht ganz unzufrieden. Nein! Aber wenn ich zurückblicke . . . .«
»Aus welchem Anlaß?«
Schwelgend im innersteigenen Geheimnis verzog sich der schmale Mund. »Ich bin ein Mensch der Bilanzen. Der Übersicht; wenn Sie wollen, der Tabellen. Und ziehe ich nun die Summe des bisher für diesen Staat Mitgeleisteten . . .«
»Ein Staat ist keine Person! Auch keine Statue! Kein Drama!«
Der Losgelassene jedoch war nicht mehr aus der Fassung zu bringen. Wild fuhr die Hand, auf einmal so beweglich, im Takt der ausgeschleuderten Worte durch die graue Luft. »Ich sehe, auf der einen Seite: Schweiß, redlichen, rechtschaffenen, ehrlichen, von uns allen Tag und Nacht, ohne Unterlaß, bei zusammengebissenen Zähnen vergossenen Schweiß! Und auf der anderen –: Nichts! Kein wirkliches Ergebnis. Nichts Positives. Halbes nur. Die Erhaltung, höchstens, des status quo. «
»Beispiele, wenn ich bitten dürfte!«
»Mit Vergnügen!« Weit, gierig beugte sich die entfesselte Brust über das grüne Tuch herein. »Das Land ist zu klein, ein Nichts. Als eigener Wirtschaftskörper überhaupt nicht möglich. Die vier Landschaften dazu in beständigem Partikularismus einander gegenüber. Das ewig qualvolle Dilemma: Wie die Steuerschraube bremsen, um die Bevölkerung nicht tot zu pressen, und wie der Kammer genug Geld verschaffen? zu notorisch, als daß ich lange darüber reden müßte. Jeder Landtag ein schmählicher Bittgang des Fürsten, und zugleich eine schmähliche Schlappe der Stände. Die Maximen, mit denen wir regieren, in ganz gleichem Widerstreit! Despotismus soll nicht angewendet werden! Aufklärung wieder – kostet Geld! Wir haben aber niemals Geld, so daß auch das Bescheidenste, was an Reformen durchgeführt werden will, an diesen uneinnehmbaren Mauern scheitert: Kein Geld, weil viel zu klein und zu zerrissen, – und, weil kein Geld, auch keine tüchtigen Beamten und keine mitwirkenden, mitarbeitfähigen Untertanen. Ist denn, um beim Kleinsten anzufangen, die Abschaffung der Feiertage etwa gelungen? Die Einführung von Prämien für geleistete Überarbeit? Haben unsere Vorsorgen für die Ansäung von Klee und Esparsette genützt? Ist's mit dem Tabak- und Krappanbau gegangen? Seitdem der alte Amtmann von Groß-Rudestedt dahin, ist's mit der Maulbeerzucht solenn vorbei. Die Chausseen Weimar-Jena, Weimar-Erfurt vermögen wir nicht auszubauen; wir brauchen die vorhandenen Steine zum Löcherausfüllen in der Stadt. Die Wirkereien in Apolda zu heben, scheint nachgerade aussichtslos. Die Almosenkassen sind umsonst, wenn dem privaten Bettel und den Vagabunden nicht gesteuert werden kann. Die Witwen- und Waisensozietät hat hundert – sag' und schreibe: hundert Mitglieder! Von der Feuerversicherung will man losgezählt sein. Den Impfzwang einführen . . .«
»Um Gotteswillen!«
Mit Leidenschaft fuhr die mitredende Hand zwischen den tödlich erschrockenen Geheimeräten in die Höhe. »Das Sportelwesen der Justiz- und Rentbeamten abzuschaffen, hat selbst das hohe Consilium sich nicht getraut! Und ist etwa aus der Prozeßordnung etwas geworden? Aus unserer kolossalen Konkursordnung? In Sachen der Kirchenbuße Ausreichendes geschehen? Von der Reform des Schulwesens gar nicht zu reden!«
»Die ist in
Weitere Kostenlose Bücher