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Götter der Nacht

Titel: Götter der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Grimbert
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überlassen können?
    Da erschien endlich der Meister, und der Zü erstarrte. Wie üblich trug Saat ein schweres Kettenhemd und eine goronische Sturmhaube, um die ein schwarzes Band geschlungen war. Zamerine hatte ihn noch nie in anderer Kleidung gesehen. Und er hatte noch nie sein Gesicht erblickt. Wer es versucht hatte, war auf das Dornenrad geflochten oder bei lebendigem Leibe eingemauert worden, je nachdem, welche Foltermethode dem hohen Dyarchen gerade am besten gefiel.
    Nur einmal hatte der Zü seine Hand erspäht: eine faltige und mit Altersflecken übersäte Hand. Die Hand eines hundertjährigen Greises, die dennoch so stark wirkte wie die eines Mannes auf der Höhe seiner Kraft. Die Hand eines Toten, der sich an das Leben klammert.
    »Mein treuer Zamerine«, begann Saat in leicht herablassendem Ton. »Schickt fünfzehn Eurer Männer nach Ith. Wir werden bald Arbeit für sie haben.«
    »Fünfzehn?«, platzte der Zü erstaunt heraus, doch dann fing er sich wieder. »Sehr wohl, Meister.«
    »Das ist alles. Befehl ausführen.«
    Der Judikator machte noch keine Anstalten zu gehen. Saat schien besserer Laune zu sein als sonst. Vielleicht war der Zeitpunkt günstig, um mehr über seine Pläne zu erfahren...
    »Welche Anweisungen soll ich ihnen geben?«

    »Keine. Sie sollen einfach auf das Zeichen warten, das Ihr geben werdet, sobald ich eine Entscheidung getroffen habe. Wir werden uns die Flüchtlinge endgültig vom Hals schaffen«, sagte er mit gepresster Stimme.
    »Meister …« Zamerine ließ nicht locker. »Woher wisst Ihr, dass sie nach Ith kommen? Woher habt Ihr dieses Wissen?«
    Der Zü starrte auf die kunstvoll geschmiedete Sturmhaube, von der ihn kaum zwei Schritte trennten. Welchen Gesichtsausdruck hatte der Ankläger wohl hinter seiner stählernen Maske aufgesetzt? Blickte er verächtlich? Belustigt?
    Zornig?
    Zamerine trat unwillkürlich einen Schritt zurück, obwohl das zwecklos war. Saat konnte von seinem Körper Besitz ergreifen und ihn zwingen, sich seinen eigenen Hati ins Herz zu stoßen.
    »Ich weiß nicht, ob sie tatsächlich nach Ith kommen«, sagte der hohe Dyarch. »Ich weiß nur, dass sie vorhaben, sich nach Ith zu begeben. Im Augenblick befinden sie sich in Romin, aber bis ins Alte Land ist es zu weit. Eure Jünglinge im roten Gewand würden es nicht mehr rechtzeitig schaffen.«
    »Ihr könnt … Ihr könnt Gedanken lesen … Auf diese Entfernung?«, fragte der Zü verblüfft.
    Saat stemmte die Hände in die Hüften und musterte seinen Untergebenen stumm. Zamerine begriff, dass er jetzt besser gehen sollte. Und er wusste, dass er seinen Meister niemals verraten würde. Niemals.
     
     
     
    Da sich Hulsidor beharrlich weigerte, die Expedition in den Tiefen Turm noch in derselben Nacht anzutreten, wurde das Abenteuer auf den nächsten Tag verschoben. Corenn
hoffte, dass seine Begründungen nicht nur eine faule Ausrede waren und sie tatsächlich in der folgenden Nacht aufbrechen würden, zumal die Argumente des Bibliothekars eher auf Aberglaube denn auf Vernunft beruhten.
    Wie er behauptete, waren die Geister, die angeblich in der Bibliothek hausten, im Okt noch viel gefährlicher als an anderen Tagen. Mit seiner Schwarzseherei jagte er dem leichtgläubigen Bowbaq und der furchtsamen Lana Angst ein. Sogar Corenn gab zu, dass sie sich allmählich Sorgen machte. Was die anderen dachten, behielten sie für sich.
    Die Erben berieten sich in Grigáns Zimmer, in dem der wieder zu Kräften gekommene Krieger ungeduldig auf und ab lief. Dabei hob er unwillkürlich immer wieder die Hand zu seinem Schnurrbart, bevor ihm einfiel, dass er keinen mehr trug. Das machte ihn nur noch rastloser.
    Während Corenn dem Gespräch lauschte, wanderte ihr Blick zwischen Yan und dem Riss in der Wand hin und her. In ihren Augen lagen Tadel und Bestürzung. Yan ahnte, dass ihm eine Strafpredigt bevorstand, vor allem aber fragte er sich, ob er es wagen würde, ihr seine Erfahrung in allen Einzelheiten zu schildern.
    »Dass wir schon wieder einen ganzen Tag verlieren müssen«, schimpfte Grigán. »Ich wünschte, wir könnten ohne die Hilfe dieser Rominer in die Bibliothek gelangen!«
    Seine Freunde nickten ergeben. Sie hatten schon über das Problem gesprochen und waren zu keiner Lösung gekommen. Sie brauchten einen Ortskundigen, und sei es nur, um sie zu den richtigen Regalen zu führen.
    »Ich hoffe, dass uns das Ganze auch wirklich etwas bringt«, sagte Grigán. »Ich kenne mich mit Bibliotheken nicht aus, aber es

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