Götter der Nacht
Grigán litt an mehr als an einigen Bissen. Was sollte er nur glauben?
»Usul hat mir … einige Dinge vorausgesagt«, gab er schließlich beklommen zu. »Unangenehme Dinge. Das ist der Fluch des übermenschlichen Wissens. Ich kenne die Zukunft, und ich weiß nicht, was ich tun soll, um sie zu verändern. Wenn ich es versuche, habe ich Angst, alles nur noch schlimmer zu machen.«
Lana seufzte und dachte eine Weile nach. Yan brauchte sie. Er brauchte Eurydis. Er brauchte Frieden.
»Eines der Gedichte im Buch der Weisen«, sagte sie unvermittelt, »schließt mit den Worten: Der Narr lebt glücklich, der Weise lang. Mit meinen Schülern diskutiere ich sonst einige Dekanten lang über diesen Vers, aber das ist diesmal nicht
nötig. Wir können daraus folgende Lehre ziehen: Jeder sucht auf seine Weise das Glück, Yan. Der Narr ist nur glücklich, weil er seine Welt nicht begreift. Er begnügt sich mit seinem kleinen Leben, so widrig die Umstände auch sein mögen. Er führt keinen Kampf. Er nimmt allen Kummer und alles Leid hin, und das fällt ihm nicht weiter schwer, weil er ihr Ausmaß nicht begreift und sie leicht vergisst. Doch der Narr verlässt diese Welt in jungen Jahren, da er noch nicht einmal um sein eigenes Überleben zu kämpfen vermag. Er ist mit einem Lächeln durchs Leben gegangen, aber er hat keine Spuren hinterlassen. Der Weise sucht ebenfalls das Glück. Sein Glück umfasst jedoch sehr viel mehr: Es schließt auch das seiner Familie, seiner Freunde, seines Volkes, manchmal sogar das der ganzen Menschheit ein. Sein Glück ist viel schwieriger zu erreichen, aber umso erfüllender ist es auch. Leider kann er es nur selten ganz und gar erlangen, doch dafür bringt ihm jeder Sieg eine Freude, die hundertmal verdienstvoller ist als der stumpfe Seelenfrieden des Narren. Denn der Weise kämpft, Yan. Er müht sich ab. Er ringt um sein Ideal und fügt sich niemals tatenlos in sein Schicksal. Yan, sei kein Weiser, der wie ein Dummkopf lebt. Was einmal geschehen ist, lässt sich nicht ändern. Aber was wird noch kommen? Wirst du dich von einer Zukunft unterjochen lassen, die nur du allein kennst?«
Yan stand auf und ging mit nachdenklicher Miene vor Grigáns Bett auf und ab. Der Maz war es gelungen, ihn ins Grübeln zu bringen.
»Wo sind wir?«, fragte Grigán plötzlich mit schwerer Zunge und richtete sich halb auf. »Wo sind die anderen?«
Yan strahlte Lana an und stürzte hinaus. Er musste die gute Neuigkeit verkünden. Er musste etwas tun. Er musste kämpfen.
Und er musste unbedingt mit Bowbaq sprechen. Was er nur vage erahnt hatte, als er sich auf Grigáns Geist konzentriert hatte, musste genauer ergründet werden. Sollte er recht behalten, würde er bald ein neues Gebiet der Magie studieren können.
Zamerine wartete im Offizierszelt auf seinen Meister. Der Zü hatte wieder einmal einer strategischen Entscheidung Gors des Zimperlichen widersprochen, dem Anführer ihrer Barbarenarmee. Es war gewiss kein Zufall, dass er nun zu einem Gespräch zitiert worden war. Dem Judikator blieb nichts anderes übrig, als sich in Geduld zu üben, während er den Gedanken an Saats Zorn verdrängte. Er wollte ihn nie wieder über sich ergehen lassen müssen.
Er ging auf und ab und strich dabei nervös über den Griff seines Hati. Gegen seinen Meister würde ihm der vergiftete Dolch nichts nützen. Saat war gegen Verletzungen gefeit. Er schien gegen alles gefeit zu sein - sogar gegen Müdigkeit. Eigentlich hatte Zamerine ihn noch nie schlafen sehen, ganz im Gegensatz zu seinem Sohn, der ihr persönliches Quartier nur selten verließ.
Von draußen war der Gesang der Sklaven zu vernehmen, Huldigungen und Lobpreisungen des Gottes, den man ihnen aufgezwungen hatte. Die Lieder hatte die Barbarenkönigin Chebree geschrieben, die von Saat zur Emaz ernannt worden war. Wenn man die Textzeilen hörte, war es kaum zu glauben, dass sie aus der Feder einer Frau stammten. Aber Sombre war der Bezwinger, der Gott der Eroberung und der Herrschaft. Mitleid kannte er nicht.
Es wurde gemunkelt, dass Saat Chebree zu seiner Mätresse gemacht hatte. Zamerine hatte befohlen, alle zu bestrafen,
die dieses Gerücht verbreiteten, auch wenn es stimmen mochte und letztlich bedeutungslos war. Vielleicht hatte er aus Eifersucht gehandelt. Fleischliche Genüsse hatten den Judikator nie besonders gereizt, aber Chebree war die erste Frau, die er seiner würdig befand. Saat hatte schon so viele Konkubinen … Hätte er diese eine nicht ihm
Weitere Kostenlose Bücher