Götter der Nacht
wie eine Kugel.«
»Was sagst du da?« Corenn war vor Überraschung aufgesprungen. Hätte sie Yan nicht so gut gekannt, hätte sie das Ganze für einen Scherz gehalten.
»Ähm … ja, wie eine durchsichtige Kugel … Habe ich etwas falsch gemacht?«, fragte er.
»Und was war in dieser Kugel? Was hast du gesehen?«
Yan antwortete nicht sofort. Er konnte aus Corenns Miene nicht erraten, ob sie diese Neuigkeit aufregend oder empörend fand. Dabei war das erst der Anfang!
»Ähm … Das klingt vielleicht ein bisschen merkwürdig. Ich glaube, das meiste habe ich mir nur eingebildet. Da war eine Art Pyramide aus Eis auf einem sandigen Untergrund. Aus dem Sand stieg Feuer auf, das die Eispyramide zum Schmelzen brachte, weshalb sich im oberen Bereich der Kugel Dampf ansammelte. Ich hatte den Eindruck, dass es die vier Bestandteile sein könnten. Oder vielleicht eher meine Interpretation der vier Bestandteile.«
»Und die Kugel ist das Absorbium«, rief Corenn freudig. »Du hast völlig recht! Du hast das innerste Wesen gesehen!«
Yan seufzte erleichtert auf. Zum Glück hatte er nicht schon wieder eine Dummheit begangen. Die Mitteilung schien sie sogar zu begeistern.
Die Ratsfrau ging ein paar Schritte auf und ab, um ihre Fassung wiederzuerlangen und in Ruhe nachzudenken. Aber sie hatte Yan mit ihrer Aufregung angesteckt.
»Was ist das innerste Wesen? Davon habt Ihr noch nie gesprochen.«
»Das habe ich mir für später aufgehoben. Es schien mir nicht besonders dringend. Eigentlich ist es reine Theorie. Einige der größten Magier der letzten Jahrhunderte haben das innerste Wesen so beschrieben, wie du es eben getan hast. Sie mussten ein Leben lang darauf hinarbeiten, eine solche geistige Kraft zu erreichen. Ein ganzes Leben lang, Yan.«
Ihr Schüler riss erstaunt die Augen auf. So schwierig war ihm das Ganze gar nicht vorgekommen. Was würde Corenn zu dem sagen, was er noch erlebt hatte?
»Das innerste Wesen ist nicht mehr als eine mystische Auslegung, die Uneingeweihten nichts sagt. Aber die wenigen, die es wahrnehmen können, beschreiben es alle mit ähnlichen Worten und bestätigen damit, dass es sich nicht um bloße Einbildung handelt. Das ist der beste Beweis dafür, wie stark dein Wille ist«, sagte Corenn bewundernd.
Sie blickten sich eine Weile wortlos an. Beide verspürten Dankbarkeit und Hoffnung, aber auch Angst vor einer solchen Kraft.
»Verzeiht«, meldete sich Bowbaq zu Wort. »Ich habe das nicht ganz verstanden … Ist Yan jetzt ein Erjak oder nicht?«
»Was?«
»Ich habe versucht, ihm zu beschreiben, wie ich es angehe«, erklärte der Riese, »und er hat dasselbe auf seine Art als Magier gemacht. Aber weder er noch ich trauen uns, es auszuprobieren … Hältst du das für möglich, Freundin Corenn?«
»Von was redet ihr denn da?«, fragte sie verständnislos.
»Vom magischen Willen natürlich!«, rief Yan. »Auf seine Art ist Bowbaq ein Meister des Windes. Ihr könnt ihm sicher einiges über die Erde beibringen, und er kann uns zeigen, wie man Gedanken liest!«
Corenn starrte Yan an, dann musste sie sich setzen, um wieder klar denken zu können. Innerhalb weniger Augenblicke hatte er alles auf den Kopf gestellt, was sie für unverrückbar gehalten hatte, und das ausgerechnet auf ihrem Gebiet: der Magie.
»Diese Idee ist mir gekommen, als ich das … das innerste Wesen in Grigán berührt habe«, fuhr ihr Schüler fort. »Ich hatte das Gefühl, in seinen Geist einzutauchen. Wenn ich noch etwas weiter gegangen wäre, hätte ich seine Gedanken lesen können. Seine Träume.«
»Er hat mich gebeten, ihm meine Methode zu erklären«, sagte Bowbaq. »Ich konnte mich nur nicht so gut ausdrücken … Yan meint, dass es so ähnlich klingt wie das, was er erlebt hat. Corenn, glaubst du, dass er ein Erjak sein könnte?«
Die Ratsfrau sah von einem zum anderen. Zwei arglose Kinder mit einem neuen Spielzeug. »Seid ihr euch eigentlich darüber im Klaren«, antwortete sie lächelnd, »dass ihr gerade die Magie revolutioniert habt?«
Bowbaq dachte, dass er damit bestimmt etwas Unhöfliches getan hatte, das ihm Unglück bringen würde. Yan wartete vertrauensvoll ab, was seine Lehrerin zu sagen hatte.
»Über die Disziplin des Windes war schon immer am wenigsten bekannt«, erklärte Corenn ernst. »Es ist die schwierigste von allen. Wer kann schon von sich behaupten, die Gefühle des Menschen, das Wesen der Seele und die Wege der Gedanken im Schlaf oder nach dem Tod zu kennen?
Bisher gelten die
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