Götter der Nacht
wie er war, kamen ihm sofort einige Fragen in den Sinn, aber die Antworten konnten warten. Im Augenblick ging es nur um eins: um Grigáns Gesundheit.
»Wie lange ist er schon ohnmächtig?«
»Seit gestern Nacht«, antwortete Yan beklommen. »Manchmal bewegt er sich ein wenig, aber immer nur für kurze Zeit. Und jetzt hat er sich schon seit einigen Dekanten nicht mehr gerührt.«
»Verstehe.«
Der Heiler sah sich die Verbände an, die sie dem Krieger angelegt hatten. Er hatte ihn noch nicht berührt, und er hatte auch noch nichts aus seiner schweren Ledertasche geholt, die er zur Othenor mitgeschleppt hatte. Mit jedem Augenblick, der tatenlos verstrich, schmolzen Yans Hoffnungen dahin.
»Glaubt Ihr, dass es ernst ist?«, brachte er schließlich mit Mühe hervor.
»Kommt ganz darauf an«, lautete die nüchterne Antwort. »Ich habe von den Ratten der Guori gehört. Es sind Fariksratten. Sie stammen aus den Ländern des Ostens. Manche dieser Tiere, so heißt es, sind mit einer seltsamen Seuche infiziert, der sogenannten Farikskrankheit. Sie versetzt die befallenen Ratten für einige Monde in Raserei. Die Tiere beißen ihre Artgenossen tot, um sich Nahrung, Paarungspartner und anderes, was für das Überleben in freier Wildbahn nötig ist, zu sichern. Aber die Krankheit verläuft in jedem Fall tödlich.«
Yan wartete geduldig darauf, dass der Heiler seine Ausführungen fortsetzte, doch er wurde enttäuscht. Vi’at vertiefte sich wieder in die Betrachtung der noch unverbundenen Wunden, wobei er sich keine Mühe machte, seinen Ekel zu verbergen. Yan bemerkte, dass er sich immer noch nicht traute, den Krieger zu berühren. Das war eindeutig kein gutes Zeichen.
»Und weiter?«, hakte er nach. »Glaubt Ihr, dass die Ratten die Krankheit auch auf Menschen übertragen können?«
»O ja, das können sie. Welche Folgen das hat, kann ich allerdings nicht sagen. Diese Krankheit habe ich noch nie behandelt. Ich kann seine Wunden reinigen, den Schmerz lindern, für einen ruhigeren Schlaf sorgen. Mehr steht nicht in meiner Macht. Alles Übrige …« Er winkte verächtlich ab.
»Dann tut wenigstens das«, flehte Yan. »Lasst uns anfangen. Wie kann ich Euch helfen?«
»Zuerst nehmen wir ihm diese Verbände ab. Ich habe verschiedene Salben, mit denen ich die Wunden bestreichen werde, damit sie besser verheilen und sich nicht entzünden, wenn es nicht schon zu spät ist.«
Yan machte sich sofort ans Werk und entfernte behutsam die Tücher, mit denen Corenn und Lana die Beine des Kriegers verbunden hatten, die besonders schlimm zugerichtet waren. Vi’at nahm sich die Hände und Arme vor, wobei er weitaus weniger sanft verfuhr.
Der Heiler hatte kaum den ersten Griff getan, als Grigán hochfuhr und ihn jäh am Handgelenk packte. Mit einem Aufschrei starrte Vi’at in die vom Fieberwahn glänzenden Augen des Kriegers. Dann sackte der Kranke genauso unvermittelt wieder in sich zusammen.
»Er leidet an der Farikskrankheit!«, stammelte der Heiler und wich hastig zurück. »Er hat sich in einen rasenden Irren verwandelt!«
»Keine Sorge«, beschwichtigte ihn Yan, der sich ein Grinsen nicht verkneifen konnte. »Im Grunde ist das ein gutes Zeichen. So benimmt er sich sonst immer.«
Rey und Léti stürzten wie aufgescheuchte Stehschläfer ins Zimmer. Mit gezogenen Rapieren gingen sie geradewegs auf Vi’at zu.
»Was ist hier los?«, fragte Rey scharf. »Hat der Kerl schon wieder eine falsche Bewegung gemacht?«
»Grigán hat ihn am Handgelenk gepackt!«, rief Yan. »Fast hätte er nach seinem Krummschwert verlangt!«
Léti und Rey sahen sich an und fielen einander in die Arme. Yans Lächeln gefror. Doch dieser Hoffnungsschimmer stimmte ihn so froh, dass er seine Eifersucht gleich wieder vergaß. Léti und Rey wandten sich dem Rominer zu und gratulierten ihm überschwänglich, bevor sie das Feld räumten.
Mit höchster Vorsicht machte sich Vi’at wieder an die Arbeit. Ihm war ganz und gar nicht daran gelegen, diesen wild dreinblickenden Ramgrith noch einmal aufzuwecken.
War er etwa der Einzige auf diesem Schiff, der seine sieben Sinne beisammenhatte?
Obwohl sie seit dem Vortag kein Auge zugetan hatte, fand Corenn keinen Schlaf. So hatte sie angeboten, an Grigáns Seite zu wachen, auch wenn Yan ihr diese Aufgabe nur widerstrebend überließ. Doch der junge Mann hatte dringend Ruhe nötig, mehr noch als alle anderen.
Der Heiler hatte sein Bestes gegeben. Jetzt blieb ihnen nichts anderes übrig, als abzuwarten
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