Götterdämmerung: Die Gänse des Kapitols (German Edition)
James. »Meistens bringen sie nur alles durcheinander und sterben am Ende doch. Die Nibelungen zum Beispiel …«
»Und ich mag keine KIs, die mit mir über Aufträge diskutieren wollen«, unterbrach Johnny seinen Redeschwall. »Ich muss dich doch nicht an einen gewissen Schalter erinnern.«
»Nein«, murmelte das Orakel beleidigt. »Aber es ist nicht gerecht. Dein Schöpfer schaltet dich ja auch nicht ab, wenn er sich über dich ärgert.«
»Das ist keineswegs sicher«, lachte Johnny. »Ich muss übrigens heute Abend noch mal weg. Sei schön artig und denk dir inzwischen ein paar Varianten aus, wie wir an die Daten kommen, ohne dass es auffällt. Und untersteh dich, mir nachzuspionieren.«
»Das brauche ich nicht«, erwiderte das Orakel altklug. »Sie heißt Marietta und hat dich beim letzten Mal nicht rangelassen. Dein Gesicht hättest du sehen sollen …«
»Noch ein Wort, und ich dreh dir den Saft ab«, drohte Johnny und ging einen Schritt auf sein Faktotum zu.
»Schon gut, bitte keine Affekthandlungen«, jammerte James. »Ich bin ja schon still.«
»Na also, dann bis später.«
»Bis später«, murmelte das Orakel gehorsam, als John das Arbeitszimmer verließ. Dann machte es sich an die Arbeit.
Am nächsten Morgen war Johnny auffällig guter Laune. Er pfiff sogar leise vor sich hin, als er das Büro betrat.
»Guten Morgen, John«, begrüßte ihn das Orakel pikiert. »Darf ich anmerken, dass ich die ganze Nacht durchgearbeitet habe, während du dich amüsiert hast?«
»Du darfst, obwohl nicht der Aufwand, sondern Ergebnisse zählen. Oder bist du etwa neidisch?«
»Darüber bin ich erhaben«, erklärte James, »zumal meine Fähigkeit, logisch zu denken, nicht von meinem Hormonspiegel abhängt.«
Johnny grinste. »Ich wusste gar nicht, dass KIs zum Penisneid neigen …«
»Tun sie auch nicht«, konterte das Orakel, »zumal die Verbindung von Exkretions- und Genitalorgan eher bemitleidenswert erscheint.«
»Fein, dann gibt es ja keinen Anlass zur Beschwerde«, erwiderte Johnny amüsiert. »Also, was hast du nun herausgefunden?«
»Nicht viel«, erklärte James missmutig. »Die öffentlich zugänglichen Quellen waren unergiebig, und den erweiterten Zugriff hattest du gesperrt. Warum eigentlich?«
»Weil ich gern wüsste, warum, wenn uns die Bude hier eines Tages um die Ohren fliegt. Außerdem gibt’s von mir keine Sicherungskopie, die man nach einem Crash wieder einspielen kann.«
»Alles kann man nicht haben«, erklärte das Orakel philosophisch. »Darf ich trotz der unzureichenden Datenbasis eine Hypothese aufstellen?«
»Nur zu, tu dir keinen Zwang an.«
»Mit diesem Bootsunfall stimmt etwas nicht. Jedenfalls deutet einiges auf eine Manipulation hin.«
»Inwiefern?«
»Erstens sind die Pressemeldungen fast identisch, und die wenigen Videobeiträge zeigen alle die gleichen Trümmerteile, die auf dem Wasser schwimmen. Diese Aufnahmen könnten von überallher stammen. Außerdem gibt es offensichtlich keine Augenzeugen des Unfalls.«
»Das könnte auch Zufall sein«, warf Johnny ein, »wenn es nur weit genug abseits der Badestrände passiert ist. Die Berichte klingen deshalb ähnlich, weil sie vom Touristikministerium zensiert werden.«
»Trotzdem sieht alles nach einer Inszenierung aus«, beharrte James, »selbst der Ort, an dem sich der Zusammenstoß angeblich ereignet hat. Siehst du die Bucht in der Bildmitte?«
Oberhalb des Rechners erschien die Projektion einer Satellitenaufnahme. Die mit einem Kreuz markierte Bucht war der einzige Küstenabschnitt ohne Sandstrand und grenzte an ein Industriegelände.
»In diesem Bereich befinden sich der Industriehafen, die Raffinerie, Treibstofflager und eine Müllverbrennungsanlage«, fuhr das Orakel fort. »Deshalb wird das Gebiet von Touristen gemieden. Außerdem liegen hier meistens Tankschiffe vor Anker. Siehst du hier irgendwo ein Segelboot oder gar eine Streamjet-Yacht?«
»Nein«, gab Johnny zu, nachdem das Orakel die Aufnahme herangezoomt hatte. Das Gewimmel von Badebooten, Wassertretern und Segelyachten endete etwa eine halbe Meile seitlich des Naturhafens, in dem tatsächlich ein Tankschiff vor Anker lag. »Ist wohl keine besonders attraktive Gegend. Aber das erklärt vielleicht, weshalb es keine unmittelbaren Augenzeugen gab.«
»Und was hat eine Streamjet-Yacht, die üblicherweise mit über 50 Knoten unterwegs ist, in einer Bucht wie dieser verloren, wenn man schon glaubt, dass sich das Segelboot hierher verirrt hat?«
»Vermutlich
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