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Götterdämmerung: Die Gänse des Kapitols (German Edition)

Götterdämmerung: Die Gänse des Kapitols (German Edition)

Titel: Götterdämmerung: Die Gänse des Kapitols (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank W. Haubold
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Gedanken an das bevorstehende Abenteuer beinahe so etwas wie Vorfreude. Und zum ersten Mal seit langer Zeit fühlte sich John Fitzgerald Varley wieder jung …
        

Der Verfolger

    Das Videofon summte und riss Raymond Farr aus dem Halbschlaf. Er fuhr hoch und öffnete blinzelnd die Augen. Es dauerte ein wenig, bis er die Lärmquelle identifiziert hatte.
    Farr erwartete keinen Anruf, jedenfalls nicht zu dieser nachtschlafenden Zeit. Dass er überhaupt noch im Büro war, hatte hauptsächlich mit dem enormen bürokratischen Aufwand zu tun, den das Projekt mit sich brachte. Es war nicht das erste Mal, dass Farr beim Ausfüllen amtlicher Fragebögen und Genehmigungsanträge am Schreibtisch eingeschlafen war.
    Ich sollte früher zu Bett gehen, dachte er unwillig, während er die Verbindung aktivierte. Der Header signalisierte eine gesicherte Intercom-Verbindung, und entsprechend lange dauerte es, bis sich das Bild auf dem Monitor stabilisiert hatte. Der Anrufer musste eine Menge Geld für diesen Luxus bezahlt haben.
    »Direktor Morcelli, Sie?«, stieß Farr überrascht hervor. Der Zirkusdirektor war in der Tat der Letzte, dessen Anruf er um diese Stunde erwartet hätte. Seit ihrer Rückkehr hatten sie keinerlei Kontakt mehr gehabt.
    »Bitte entschuldigen Sie die Störung, Commander.« Der Direktor lächelte verlegen. Er sah älter aus, als Farr ihn in Erinnerung hatte, und seine Miene wirkte besorgt. »Ich weiß, Sie sind ein vielbeschäftigter Mann.«
    »Schon gut, Direktor«, wehrte Farr ab. »Lassen wir die Formalitäten. Was haben Sie auf dem Herzen?«
    »Das ist nicht so leicht zu erklären …«, erwiderte der Italiener stockend, rang sich dann aber doch zu einer Antwort durch: »Einer unserer … Schützlinge ist verschwunden, und ich fürchte, er ist auf dem Weg zu Ihnen.«
    »Das ist nicht Ihr Ernst, Direktor.« Raymond Farr biss sich auf die Lippen, um nicht laut herauszuplatzen. Doch das änderte nichts an dem Zucken in seinem Zwerchfell, das die Vorstellung eines geflügelten Clowns am Schalter eines Abfertigungsterminals auslöste. Andererseits sah der Anrufer nicht danach aus, als wolle er sich einen Scherz mit ihm erlauben.
    »Ich fürchte doch, Commander«, erklärte Morcelli mit angespannter Miene. »Außerdem handelt es sich bei dem Verschwundenen um kein gewöhnliches Exemplar, sondern vermutlich um einen Mutanten.«
    »Ein Mutant? Davon haben Sie seinerzeit nichts erwähnt.«
    »Natürlich nicht. Malik, das ist sein Rufname, kam erst vor zwei Monaten zur Welt. Zunächst ist uns gar nichts Besonderes an ihm aufgefallen, aber die anderen Vögel haben es wohl gespürt. Auch seine Mutter hat ihn nicht angenommen und den Kleinen sofort weggejagt, wenn er versuchte, in ihre Nähe zu kommen. Dabei war er durchaus nicht missgestaltet oder so etwas. Er wäre verhungert, wenn sich die Pfleger nicht um ihn gekümmert hätten. Marietta, die gute Seele, war ganz begeistert von ihm. Offenbar war er sehr gelehrig und intelligenter als seine Artgenossen. Sie hat sogar versucht, ihm das Sprechen beizubringen, letztlich mit Erfolg. Für sie war er beinahe so etwas wie ein Kind, nur dass er natürlich viel schneller wuchs als ein Mensch. Und wahrscheinlich lernte er auch genauso schnell dazu, obwohl wir darüber nichts Genaues wissen. Fakt ist jedenfalls, dass er irgendwie von den Burgons erfahren hat, obwohl Marietta schwört, dass sie die Pendragon-Geschichte nie in seiner Anwesenheit erwähnt hat …« Der Direktor stockte und tupfte sich die Stirn mit einem Taschentuch ab.
    »Und wie kommen Sie überhaupt darauf, dass dieser Vog… dieser angebliche Mutant etwas darüber weiß?«
    »Ganz einfach, er hat einen Abschiedsbrief hinterlassen.«
    »Wie bitte?«, erkundigte sich Farr ungläubig. »Sind Sie sicher, dass man Ihnen da keinen Bären aufgebunden hat?«
    »Leider ja«, erwiderte Morcelli mit einem bitteren Lächeln. »Wir haben ihn wohl alle unterschätzt.«
    »Also kein schlechter Scherz?« Raymond Farr blieb skeptisch: ein wenige Monate alter Vogelmensch, der ohne Anleitung Briefe verfasste?
    »Ich wünschte, es wäre so«, erklärte der Direktor ernst. »Natürlich hat Malik die Nachricht nicht mit der Hand geschrieben, sondern irgendwo ins System eingegeben und danach ausgedruckt. Zuerst hielten wir das Ganze auch für einen üblen Scherz, und ich war schon drauf und dran, die Truppe zusammenzurufen und zur Rede zu stellen. Aber erstens war Malik tatsächlich verschwunden, wie er es angekündigt hatte,

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