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Götterdämmerung: Die Gänse des Kapitols (German Edition)

Götterdämmerung: Die Gänse des Kapitols (German Edition)

Titel: Götterdämmerung: Die Gänse des Kapitols (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank W. Haubold
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James jedoch so weit aneinander gewöhnt, dass man ihre Beziehung beinahe als symbiotisch bezeichnen konnte. James durchforschte mit unermüdlichem Eifer die Weiten der Datensphäre – was er im Übrigen auch tat, wenn keine Aufträge vorlagen –, während John sich um das Geschäftliche kümmerte und dafür sorgte, dass die anfallenden Rechnungen für Whiskey, Strom und Nährlösungen pünktlich beglichen wurden. Gelegentlich ging Johnny abends aus und kehrte erst in den frühen Morgenstunden zurück, was James je nach Laune entweder zu verbalen Anzüglichkeiten oder zur Deklamation sentimentaler Liebesgedichte veranlasste. Beides war gleichermaßen schwer erträglich, gehörte aber ebenso zum Spiel wie Johnnys Drohung, die biologischen Komponenten seines Majordomus der Nachbarskatze zum Fraß vorzuwerfen, wenn er nicht sofort die Klappe hielt. Wahrscheinlich gab es gar keine Katzen in der Nachbarschaft, und falls doch, dann hätten sie den angebotenen Leckerbissen wohl verschmäht.
    John Varleys exzellenter Ruf in der Szene litt unter derlei Eskapaden jedoch kaum, zumal sie sich nie auf die Qualität seiner Recherchen niederschlugen, die – wie selbst Neider zugeben mussten – über jeden Zweifel erhaben war. Da seine Agentur mit Aufträgen überhäuft wurde, konnte er es sich leisten, nur die lukrativsten auszuwählen, wobei er sorgfältig darauf bedacht war, weder die Behörden noch den Orden oder gar das organisierte Verbrechen herauszufordern.
    Alles lief bestens, und doch ertappte sich John Varley gelegentlich bei dem Gedanken, dass das, was er bislang erreicht hatte, nicht alles sein konnte, was das Leben für ihn bereithielt. Er hütete sich jedoch, der Ursache für seine Unzufriedenheit allzu energisch auf den Grund zu gehen. John wusste aus beruflicher Erfahrung, dass verdrängte Wahrheiten zumeist unangenehmer Natur waren. Und warum sollte er sich mit Dingen herumquälen, die ohnehin nicht zu ändern waren? Vielleicht hatte er zu viel gearbeitet in den letzten Jahren, und es erging ihm wie jenen Psychologen, die nach einer gewissen Zeit die Eigenheiten ihrer Patienten annahmen. Möglicherweise war aber auch die Fülle der tagtäglich aufgenommenen Informationen dafür verantwortlich, dass aus Neugier allmählich Überdruss geworden war. Immer häufiger war John auf Dinge gestoßen, die er gar nicht wissen wollte, nicht nur, weil ihm dieses Wissen gefährlich werden konnte, sondern auch, weil es gegen seine inneren Überzeugungen verstieß. Sein Beruf brachte es nun einmal mit sich, im Schmutz zu wühlen, aber deshalb musste er den Schmutz noch lange nicht mögen. Von James war in dieser Beziehung ohnehin keine Hilfe zu erwarten. KIs waren für Fakten und logische Schlussfolgerungen zuständig, nicht für die Abgründe der menschlichen Seele.
    Die Nachricht von Ray traf so zu einem denkbar günstigen Zeitpunkt ein, denn erstens versprach sie Abwechslung vom täglichen Einerlei und zweitens erforderte der Auftrag Johnnys volle Konzentration. Er war zweifellos gefährlich – um zu dieser Einschätzung zu kommen, hätte es Rays Warnung nicht bedurft –, aber aus irgendeinem Grund war John in dieser Angelegenheit bereit, Risiken in Kauf zu nehmen, denen er üblicherweise aus dem Weg ging.
    Zweifellos hing diese Bereitschaft auch mit Rays Person zusammen. Sie hatten sich zwar seit mehr als zwanzig Jahren nicht gesehen, aber stets losen Kontakt gehalten, und so wusste Johnny vermutlich mehr über Raymond Farr als jeder andere Mensch innerhalb der Föderation. Sie waren einander ähnlich, obwohl ihre wenigen Bekannten augenblicklich das Gegenteil beschworen hätten – selbst ihre ehemaligen Freunde vom College. Johnny hatte die meisten längst aus den Augen verloren, obwohl er nach wie vor Einladungen zu Alumni-Treffen erhielt, die er jedoch ignorierte. John hielt nicht viel von dieser Art Traditionspflege. Er wollte die anderen so in Erinnerung behalten, wie sie damals gewesen waren. Ray zum Beispiel, der trotz seiner herausragenden Leistungen immer ein wenig verlegen wirkte und nicht leicht Freundschaften schloss. Dabei hätte er als Jahrgangsbester mühelos im Mittelpunkt stehen können, aber das lag ihm offenbar ebenso wenig wie Johnny selbst, der sich aber schon damals häufiger in den virtuellen Räumen der Sphere aufhielt als anderswo. Der Beginn ihrer Freundschaft war allerdings eine sehr reale Auseinandersetzung gewesen, bei der Johnny ordentlich Prügel bezogen hatte. Natürlich war es dabei um

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