Goetterdaemmerung - Roman
stürzen. Ach!, dreimal verflucht sei der eisige Morgen, an dem er Wendessen verlassen, sein schönes Herzogtum aufgegeben hatte, das er niemals wiedersehen sollte! In dem Augenblick, als er in die Berline gestiegen war, hatte er Wagner nach dem Titel der letzten Oper des «Rings des Nibelungen» gefragt.
«‹Götterdämmerung›, Monseigneur …»
Und als hätte dieses Wort eine Verwünschung enthalten, hatte an jenem Tag auch für den Herzog die langsame und düstere Dämmerung seines Lebens begonnen.
Allmählich schlummerte er ein, denn seit einigen Monaten schlief er überall und schreckte dann unvermittelt hoch, wenn man ihn ansprach; und plötzlich schien ihm, als sähe er Claribel vor sich. Ihr Blick war starr, die Lippen blass, sie war umgeben von einem friedlichen Licht und hielt einen Totenschädel in der Hand. Ohne ein Wort zu sagen und reglos blieb sie stehen, für die Zeit eines recht langen «Vaterunsers», dann verschwand sie – und der Herzog fuhr aus dem Schlaf auf, wie versteinert von dieser Vision, und brauchte einige Augenblicke, um wieder zu Atem zu kommen. Ach! Was wollte sie nur von ihm, seine Clary, seine Letztgeborene? Der Tod, der sie geholt hatte, hatte so vielen anderen Gespenstern die Tür geöffnet, und seit diesem Unglück war eine Plage nach der anderen über die Familie des Herzogs gekommen. Zuerst war es Hans Ulrich, den man eines Morgens röchelnd in seinem Blute fand. Und ein vages, nur ins Ohr geflüstertes Gerücht über die Ursachen dieses Verzweiflungstods war dazugekommen, hatte den Schrecken noch vermehrt, während Christianes Leid und ihr rasches Dahinwelken ein Übriges getan hatten, um das dunkle, entsetzliche Rätsel zu vergrößern. Dann die skandalösen Verrücktheiten Ottos, die abstoßende Heirat von Franz … Doch bald darauf wurde der Herzog von weit lebhafteren und empfindlicheren Schlägen getroffen: sein Herz, über dessen Leiden er sich immer wunderte, durch den undankbaren Abschied seiner letzten Tochter und seine Ehre, seine Würde, seine Ruhe durch die hinterlistige Trickserei seines Sohnes Franz beim Spiel. Oh, welch unauslöschliche Befleckung seines Namens! Gipfel der Niedertracht und Ehrlosigkeit! Doch nur wenig später wurde dies noch übertroffen durch den Gipfel aller Verbrechen, den ungeheuerlichen Mordanschlag Ottos …! So endete dieses erhabene Geschlecht, das einst ganz Deutschland unter seinem Joch gehabt und in allen Bereichen mit den bedeutendsten Männern geglänzt hatte, mit Königen, Kaisern, Heiligen, endete in einem Abgrund blutigen Morasts, mit Bastarden, Blutschändern, Dieben und Vatermördern.
Es brach dem Herzog das Herz. – Und im Übrigen, was war er selbst denn gewesen? Ein entarteter Sohn, grausamer Vater, furchtbarer Ehemann, verabscheuenswerter Hausherr, eifersüchtig, launenhaft, rastlos und unbeständig – welches Glück hatte er genossen, welche Größe blieb ihm jetzt noch, ihm, der sich alles hatte unterwerfen wollen? Er sah sich, wie er allein, überaus glücklos mit seiner Familie, als Bruder, als Onkel und als Kind, innerlich zerrissen durch erschütternde Katastrophen und von niemandem getröstet, sein gekröntes Haupt durch sämtliche Hotels in Europa schleppte, zwei oder drei Dienern ausgeliefert, die ihn despotisch beherrschten, sodass er nur noch auf ihre Veranlassung handelte, nachdem er seinem Hofnarren Geschmack, Urteilsvermögen, seine Ohren und Augen überlassen hatte; überdies war er gebrechlich und lächerlich. Um ihn herum stieg die Nacht herauf, das Dunkel wurde undurchdringlicher; diese grausame Zeit – o Jammer! – war die Götterdämmerung seines Geschlechts.
Von Zeit zu Zeit unterbrachen Augenblicke des Halbschlafs seine Gedanken in der dumpfen Hitze, und auch das Schauspiel und die Musik lenkten ihn manchmal ab, allerdings ohne dass er lang hätte aufmerksam bleiben können. Ein Gesicht, ein Ordensband oder ein Ehrenkreuz, das ihm ins Auge stach, ließen ihn das Opernglas zur Hand nehmen; und während er die dicht gedrängten Zuschauerreihen vor sich mit Blicken durchmaß, versank der Herzog wieder in seine Grübelei. Gewiss, ein so bedeutendes Ereignis, das seit vielen Monaten angekündigt war und dem beizuwohnen und bei dem gesehen zu werden für so viele Menschen den Gipfel der Ehre bedeutete, glich einem Kongress des versammelten Europa, zu dem sich alle Mächtigen, alle Verantwortlichen und, wenn man das sagen kann, die besten Köpfe des Adels, der Kunst und des Geisteslebens
Weitere Kostenlose Bücher