Götterdämmerung
bin ich auch noch schuld, oder was?»
«Nein», sagte Athene beschwichtigend, «das hat er doch nicht gemeint.»
«Klar hat er das gemeint!»
«Apollon, sag, dass du es nicht so gemeint hast.»
«Ich …», sagte der Lyrapuzzler angriffslustig und bemerkte Athenes Blick, der die Worte «Wenn du dich jetzt nicht zusammennimmst, wirst du nie wieder tiefe Töne singen» in seinem Kopf erklingen ließ. Apollon räusperte sich und nuschelte: «Ich hab’s nicht so gemeint.»
«Was wolltest du uns denn sagen?», fragte Athene sanft.
Hera entschloss sich nach kurzem Überlegen, nicht zu schmollen. «Vorher müsst ihr mir etwas versprechen.»
«Und was?»
«Dass ihr Zeus nicht stürzt.»
«Wer sagt, dass wir ihn stürzen wollen?»
«Schwört es.»
«Das tun wir.»
«Alle.»
«Ich schwöre», sagte Athene und hob die Hand.
«Ich schwöre», sagten Apollon und Artemis.
«Gut.» Hera nickte zufrieden. Sie war, wie man aus diesem Nicken schließen kann, in gewisser Hinsicht irrsinnig romantisch veranlagt oder, um es realistischer zu formulieren, naiver als ein neugeborener Kuckuck. Sie hatte oft von Schwüren gehört und gelesen, die gehalten wurden, und obwohl sie Derartiges in Olympos noch nicht erlebt hatte, glaubte sie unerschütterlich daran, dass solche Dinge tatsächlich vorkamen.
«Zeus», sagte sie, «weiß, was ihr vorhabt.»
Athenes Züge verfinsterten sich. «Was? Woher denn?»
«Poseidon hat euch belauscht.»
«Diese widerliche Wasserratte …»
«Und jetzt will er eure Sterblichen umbringen.»
«Das könnte ihm so passen», sagte Athene wütend und verstummte sofort wieder. Sie senkte nachdenklich den Kopf. «Moment mal … Zeus weiß doch gar nicht, wer die Sterblichen sind. Richtig?»
Artemis, Apollon und Hera nickten.
«Also …»
«Pssst!», zischte Apollon und hielt sich den Zeigefinger an die Lippen. Vorsichtige Schritte näherten sich dem abgelegenen Saal, in dem sich die Verräter versammelt hatten.
«Hermes», zischte Artemis, «der schleicht immer so verstohlen.»
«Der arbeitet für Zeus!», flüsterte Hera. «Er darf mich hier nicht sehen.»
«Hinter die Säule!» Apollon bugsierte sie hinter eine der Säulen und blieb davor stehen. Hermes lugte unter seinem Flügelhelm in den Raum und setzte jenes strahlende Lächeln auf, das die Gebrauchtwagenhändler sämtlicher Epochen von ihrem Gott abgekupfert haben.
«Seid gegrüßt!», sagte er aufgeräumt und kam näher.
«Sei gegrüßt, Hermes», erwiderte Athene förmlich. «Was führt dich in diesen entlegenen Winkel von Olympos, Bruder?»
«Ich habe euch gesucht.»
«Weshalb?»
Hermes sah sich nach allen Seiten um und streckte den Kopf vor. «Weil ich mit euch zusammenarbeiten will», wisperte er.
«Oh. Oh, gut», wisperte Athene zurück und nickte ausgiebig. «Gut, dass du dich für die richtige Seite entschieden hast. Du kannst uns helfen.»
«Was kann ich tun? Soll ich irgendwas klauen?»
«Nein. Wir könnten deine Unterstützung bei einer äußerst delikaten Angelegenheit brauchen. Aber versprich mir bei deiner Götterehre, dass du schweigen wirst wie ein Stein.»
«Versprochen.» Hermes hob die Rechte zum Schwur.
«Wir werden gegen das Gesetz verstoßen und Sterblichen Einlass zu diesem Reich verschaffen.»
«Nein!», hauchte Hermes. «Wirklich wahr?»
«Ja, Bruder», hauchte Athene zurück. «Damit brechen wir Zeus’ Macht und erreichen, dass all dieser Unfug auf Erden aufhört.»
«Eine kluge Idee, Athene. Beeindruckend.»
«Danke. Du könntest uns helfen, indem du ein wenig auf diese Menschen achtest. Damit ihnen nichts zustößt, bis wir sie herführen. Würdest du das tun?»
«Selbstverständlich.»
«Gut, dann hör zu. Wir haben vier ausgewählt. Der erste heißt Caspar Melchior und lebt in einer Stadt namens Augsburg. Wir führen ihn im Jahre 1544 , gerechnet nach der Christenzeit … Der Name des zweiten ist Aristipanes.»
«Ein Grieche.»
«Ja, ein Grieche. Aus Athen.»
«Deiner Stadt.»
«Stimmt, aber das ist reiner Zufall. Wir haben alle Kandidaten nach dem Zufallsprinzip ausgewählt.»
«Aha. Weshalb?»
«Zeus ist kein Idiot, auch wenn er sich zurzeit idiotisch aufführt. Es könnte ihm also gelingen, unsere Überlegungen nachzuvollziehen, so abwegig sie uns auch erscheinen mögen. Was wir an Abwegen erfinden können, könnte er nachempfinden, denn geistige Konstruktion bleibt nun mal geistige Konstruktion … Also haben wir uns nach langem Überlegen entschlossen, unüberlegt zu
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