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Götterdämmerung

Götterdämmerung

Titel: Götterdämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Böttcher
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ganz bezaubernde kleine Schlange, gegen deren Gift er bedauerlicherweise nicht immun ist. Die hing schon mal über seinem Kopf, bei seinem letzten Versuch, uns zu verraten. Zu seinem Glück stand damals Sigyn neben ihm und hielt eine Schale über seine Nase, sodass er nur ab und zu einen Tropfen ins Gesicht bekam – daher seine vortrefflich geratenen Narben. Aber diesmal …», sagte er, sah sich kurz um und wandte sich dann schmunzelnd wieder Loki zu, «ist ja leider keine Sigyn da.»
    Baldur griff in seinen Umhang und beförderte eine gelb schillernde, giftig zischende Schlange ans Tageslicht. Er hob einen Ast vom Boden auf, klemmte ihn ins Maul des Reptils, hielt dessen Kopf über das rechte Auge des festgezurrten Loki und presste die Giftzähne gegen das Holz.
    Ein glitzernder, dampfender Tropfen kroch langsam um den Ast, blieb an der Unterseite hängen und wurde größer.
    «Neiiiiiin!», kreischte Loki und strampelte mit den Füßen wie ein Wahnsinniger. «Nein, nein, Na-heiiiin!»
    «Ruf sie zurück», sagte Baldur.
    Lokis ganzes Gesicht schien jetzt fast ausschließlich aus Augen zu bestehen, einem einzigen riesigen Blick, gelähmt vor Entsetzen auf den langsam größer werdenden Tropfen geheftet. Und das Wenige, was in seinem Gesicht nicht Auge war, bibberte so heftig, dass man es beim besten Willen nicht identifizieren konnte. «Lasst ab!», krächzte Loki panisch, räusperte sich und wiederholte die Aufforderung kreischend, in ohrenbetäubender Lautstärke.
    «Lasst ab! Lasst sie laufen! Kehrt zurück!
Verschwindet!
»
    Athene und Baldur richteten ihre Gedanken auf die Sterblichen.
     
    Der Fenriswolf grub seine Hauer in den kleinen Felsvorsprung, unter dem Erasmus und Diana Zuflucht gesucht hatten, und zerbiss das steinerne Dach wie ein Stück Mürbekeks. Feiner Felsstaub rieselte Erasmus in die Augen. Er schützte Diana überflüssigerweise mit dem rechten Arm und starrte hoch in das riesige Maul.
    Als er sich gerade entschlossen hatte, unmittelbar vor dem Geist auch endlich den Glauben aufzugeben, hob die Kreatur ruckartig den Kopf. Mehrere giftige Speicheltropfen verfehlten die beiden Kauernden nur um Haaresbreite, und weit über ihnen spitzte der Wolf die Ohren. Das Knurren hatte aufgehört. Erasmus und Diana sahen nach oben. Der Wolf lauschte, blickte noch einmal zu Boden, bedauernd, und verwandelte sich dann in eine schwarze Wolke. Aus der schwarzen Wolke wurden kleinere, graue Wolken, aus den grauen Wolken wurde weißer Nebel, der zerfloss, und dann waren Erasmus und Diana wieder allein.
    Nach einer langen atemlosen Pause sagte Diana: «Er ist weg.»
    «Ja», sagte Erasmus.
    «Er ist wirklich weg.»
    «Ja.»
    Beide schwiegen und lauschten dem Trommeln ihrer Herzen. Diesmal war es Diana, die die Initiative ergriff.
    «Komm», sagte sie und stand zitternd auf, «gehen wir zu deinem Steinkreis, bevor das Ding zurückkommt.»
     
    Halb vorwärts, halb rückwärts robbten, krabbelten und stolperten Gwydiot und Gwenddolau, so schnell sie konnten, durch hochwachsende Wiesengräser, Disteln, Brennnesseln und unvorsichtige Wespen. Es stach von allen Seiten, aber sie verspürten keinen Schmerz. Der Unterkiefer der langen, trägen Schlange hatte sich bis fast auf den Boden gesenkt, und nun fuhr der furchterregende Schlund auf die beiden Robbenden zu wie eine mobile Höhle. Als das Maul nur noch knapp zehn Meter von Gwydiot entfernt war, ließ der Magier sich endlich ächzend zur Seite ins Gras fallen – und blieb liegen.
    «Komm weiter!», schrie Gwenddolau.
    «Wozu?», sagte Gwydiot und zuckte resigniert die Achseln. «Selbsterhaltungstrieb ist ja was Feines, aber man muss wissen, wann man sich lächerlich macht.»
    Das Maul war nur noch fünf Meter entfernt. Gwydiot deutete darauf, vorwurfsvoll.
    «Ich meine, sieh dir das doch an, Gwenddolau. Glaubst du etwa, das Ding lässt uns entkommen?»
    «Man muss kämpfen bis zuletzt!», sagte sie, packte ihn mit ungeahnter Kraft am Kuttenkragen und schleifte ihn weg. Für Sekunden blieb der Abstand konstant, dann wurde die Schlange etwas schneller. Ihr Unterkiefer rumpelte zischend über die Stelle, an der sich der Magier seinem Schicksal ergeben hatte.
    «He, he, he!», protestierte Gwydiot gegen das Schleifen.
    Die Schlange blieb unvermittelt stehen und schloss bedächtig das Maul. Blaue Wagenräder starrten fragend in Gwydiots Richtung und auf den Rücken der ihn schleifenden Frau, dann wandte sich der Blick der Schlange hoch in die Luft über der Ebene. Sie

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