Götterdämmerung
benutzte Athene als Schild. Die Nachwuchsgötter rauschten zusammen und gingen ächzend zu Boden. Während ihre Väter laut fluchend erneut aufeinander eindroschen, rappelten die beiden sich auf, Kopf an Kopf.
«Schluss jetzt», keuchte Athene. «Wir holen die Sterblichen rein und dann hat sich die Sache. Ich hab’s wirklich satt bis hier …»
«Dito», raunte Baldur und hielt sich den schmerzenden Schädel. Bevor die beiden jedoch vom Schlachtfeld taumeln konnten, riefen Odin und Zeus, die sich gerade die vorletzten Lebensgeister aus den Köpfen schlugen, ihre Söhne Thor und Ares zu Hilfe.
«Areeees, halte Athene fest!»
«Thor: Baldur! Fass!»
Und unverzüglich schüttelten die Gerufenen ihre jeweiligen Kontrahenten ab und stürzten sich auf ihre Geschwister …
Jedes irdisches Messgerät, ganz gleich, aus welcher Epoche der Geschichte es stammt, verhielte sich beim Versuch, göttliche Energien zu messen, wie ein rohes Ei, das man in einem Mikrowellengerät hartzukochen versucht. Und das gilt schon für die Energien, die frei werden, wenn ein Gott den kleinen Finger krümmt. Was bedeutet, dass wir es bei einer Schlacht, an der sage und schreibe achtzehn germanische und griechische Gottheiten beteiligt sind, mit Kräften zu tun haben, deren Ausmaß das menschliche Vorstellungsvermögen bei weitem übersteigt. Kräften, die aber bisher wenigstens insofern leidlich darstellbar waren, als sie in bestimmte Richtungen wirkten. Zur Verdeutlichung male man sich vor dem eigenen geistigen Auge ein Feld mit achtzehn Punkten, neun blauen (Asen) auf der rechten und neun roten (Griechen) auf der linken. Nun füge man die zu den jeweiligen Punkten gehörigen, etwa gleichlangen Vektoren hinzu, die bisher von rechts nach links beziehungsweise von links nach rechts zeigten. Die Richtung ändert sich zwar geringfügig, wenn ein Grieche von einem Asenkontrahenten ablässt und sich den nächsten vornimmt (oder umgekehrt), aber im Großen und Ganzen ist das Bild so weit noch erfreulich geordnet. Das heißt,
war
erfreulich geordnet, denn mit Athenes und Baldurs Seitenwechsel ist eine nicht zu unterschätzende Veränderung eingetreten. Die Vektoren ihrer erbosten Väter haben sich nämlich geteilt und zeigen nun zum einen auf die gegnerischen Götter und zum anderen auf die eigene Verwandtschaft. Gleiches gilt für die Vektoren von Ares und Thor, während Athenes Vektor nicht mehr auf Baldur und Baldurs Vektor nicht mehr auf Athene zeigt, beider Vektoren jedoch abwechselnd auf gegnerische und verwandte Götter deuten. Das physikalische Modell sieht also von diesem Moment an aus wie ein Rudel japanischer Uhren, die in schlechten Spielfilmen benutzt werden, um das Verstreichen von Zeit anzudeuten, nur dass es eben keine japanischen Uhren sind, sondern wild durch die Gegend rotierende Energievektoren, sprich unkontrolliert ausbrechende, unvorstellbare Kräfte.
Es könnte an diesen herumschießenden Energien gelegen haben, dass Hödur, der etwas abseits stand, plötzlich von den Füßen gerissen und aus dem Steintor geschleudert wurde.
Andererseits könnte es natürlich auch daran gelegen haben, dass die gewaltigen Schwinger des blinden Boxers zum ersten Mal etwas trafen, und zwar seine eigene Nase.
Was zählt, sind Resultate, und das Resultat war, dass der arme, blinde Hödur allein, verlassen und benommen durch Zeit und dunklen Raum taumelte und versuchte, sich an den Heimweg zu erinnern.
Cameron, Erasmus, Diana, Gwydiot, Gwenddolau und Gawain standen auf dem gleichen Quadratmeter Boden. Da sie nicht zur gleichen Zeit dort standen, hatten sie alle ausreichend Platz.
Cameron schob sich den Hut in den Nacken und stützte die Hand in die Hüfte.
Diana sagte: «Und jetzt?»
Erasmus zuckte die Achseln.
Gwydiot vergewisserte sich, dass er an der richtigen Stelle stand.
Gwenddolau hielt sich an ihm fest.
Gawain durchsuchte die Anlage nach geschickt getarnten Feinden. Er schlich um die Steine herum und behielt den Magier im Auge, um ihm auf gar keinen Fall zu nahe zu kommen.
Stonehenge war zu allen Zeiten ein beliebtes Ausflugsziel für englische Steinfanatiker und kulturbewusste Touristen gewesen. Als Hödur aus dem Tor fiel, veränderten sich die Reiseführer dahingehend, dass sie von einer benommen vor dem Fersenstein stehenden fast zehn Meter hohen Luftspiegelung mit Helm kündeten, die offenbar zu jeder Tages- und Nachtzeit vor der Anlage herumwaberte, stockend aus der heiligen Schrift zu zitieren schien und
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