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Götterfall

Götterfall

Titel: Götterfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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Schwingen politischer Reden, manchmal hab ich gar nicht mehr richtig zugehört, ehrlich gesagt. Aber wenn er dann so als Mann völlig nackt neben dir liegt, euer gemeinsamer Schweiß gerade verdunstet, und er spricht von seiner Heimat, von seiner Stadt, von dem Werk, in dem er und sein Vater malocht haben, dann glaubst du ihm bis tief in die Seele. Und dann wird seine Sache plötzlich auch zu deiner.
    Er hat gesagt, er mußte etwas unternehmen. Die von der Treuhandhätten ihm keine andere Wahl gelassen. Die hätten so getan, als ginge es um das Werk, diese Metallfabrik im tiefsten Sachsen, aber in Wirklichkeit wollten sie nur so eine scheiß Formel. Ich hab gefragt, welche Formel. Er hat gesagt, das würde ich nicht verstehen.
    Hätte ich gewußt, daß sie nur ein paar Minuten später F. abführen wie einen Schwerverbrecher, einfach aus heiterem Himmel, ich hätte natürlich gleich nachgefragt: Ey, hast du was mit der Ermordung zu tun, verdammt? Hast du den kleinen Jungen umgebracht wegen deiner Wut auf die Treuhand, oder was?
    Aber ich habe nicht gefragt. Ich habe ihn geküßt und lieber an seinen Brusthaaren gezupft. Mit der Frage auf den Lippen, klar, aber ich wollte die Stimmung nicht kaputtmachen und dachte auch, später ist die bessere Gelegenheit. Auch jetzt im nachhinein kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, daß F. neben mir gelegen haben soll, obwohl er vierundzwanzig Stunden zuvor einen kleinen Jungen umgebracht hat. Das geht mir nicht in den Kopf. Okay, er war irgendwie komisch, nicht ganz bei der Sache und so. Aber ein Mord muß einem doch irgendwie anzusehen sein. Da schläfst du nicht mit einer Frau, wenn dein Opfer gerade nackt auf dem Obduktionstisch liegt, es sei denn, du bist wirklich pervers. Aber das ist F. nicht. Er ist radikal, ja, er würde vielleicht auch jemanden entführen, wenn es um eine wichtige Sache wie diese Treuhandbetrügereien geht. Aber er berührt mich nicht innen und außen mit so einer Leidenschaft, wenn dieselben Hände vorher einen kleinen Jungen erstochen haben.
    Dann ging es los. Tür auf und Höllenlärm. Die vom SEK haben mich behandelt, als hätten sie mich bei einer Rotlicht-Razzia aufgegabelt. Bis dann einer in meinem Portemonnaie den Polizeiausweis entdeckt hat, da gab es ein bißchen mehr Respekt. Und klare Anweisungen, ich soll verschwinden, splitterfasernackt, wie ich war, ich soll die Klappe halten, keinen Aufstand anzetteln. Mist, ich hatte Schiß, ich war völlig am Ende mit den Nerven und bin dann tatsächlich abgedampft. F. hat mir nur einen einzigen Blick zugeworfen. KurzerAugenkontakt. Nicht mal sauer schien er zu sein. Könnte mir vorstellen, es war ihm recht, daß ich mich da nicht reinziehen lasse. Schätze, er wollte es allein durchziehen. Vielleicht war ich ihm sowieso egal, keine Ahnung, er hat mir nie gesagt, was es ist, Liebe oder nur Tamtam.
    Jetzt lieg ich hier allein. Sehe mal wieder den Mädels beim Pennen zu. Die sind k.o. Haben letzte Nacht die Leiche gefunden und dann wohl doch was als Einschlafhilfe genommen wegen dem Schock. Die kriege ich nicht wach. Besser morgen. Ich werde Wencke fragen. Sie ist mir irgendwie näher als Silvie. Ja, mal sehen, was Wencke dazu sagt.
    Bis dahin diese Stille. Weiß nicht, wie es ihm geht. Und ob er es getan hat oder nicht.
    Ich werd nie wieder schlafen können, bis ich Bescheid weiß.
    D.

Verðandi
    [12. Juni, 16.05 Uhr, Charlottenring,
Bad Iburg, Deutschland]
    In Bad Iburg, der Kleinstadt, in der sie immerhin ein halbes Jahr ihres Lebens verbracht hatte, fand Wencke sich noch immer erstaunlich gut zurecht und gelangte mit ihrem Auto problemlos auf den Charlottenring, der rund um das Schlossgelände und von dort aus Richtung Rottstraße führte. Auf dem Hügel erkannte man die Türmchen, die Mauern, das Tor. Damals hatte das Gebäude eine gewisse Aura gehabt, wie Internate in Mädchenromanen. Inzwischen war die Polizeischule schon lange geschlossen.
    Rechts lag der See. Die Bäume ringsherum waren teilweise gefällt, neu gepflanzt oder auch ordentlich gewachsen. Ansonsten war es noch derselbe Ort. Der Ort, an dem sie damals nach Jan gesucht hatten. Und ihn schließlich fanden. Der Ort, an dem Frank-Peter Götze zum Mörder geworden war. Und Doro mit sich gerissen hatte.
    Diese Wahrheit hatte Wencke all die Jahre mit diesem Ort verbunden. Was, wenn es niemals die Wahrheit gewesen war?
    Zwanzig Jahre hinter Gittern, und dann entschied sich Götze, ausgerechnet dorthin zurückzukehren, wo die

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