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Götterfall

Götterfall

Titel: Götterfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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Hinausgehen einfach die Tür hinter sich
    zu.« Wenn doch immer alles so unkompliziert wäre, dachte Wencke.
    Sie schaute auf die Uhr, inzwischen war es halb fünf, und es sah nicht so aus, als wäre der zugegebenermaßen nicht ganz den Dienstvorschriften entsprechende Trip nach Bad Iburg seine Spritkosten wert gewesen. Als Letztes nahm sich Wencke die Papiere vor, die auf dem Wohnzimmertisch lagen und schon auf den ersten Blick nach Chaos aussahen. Entlassungs- und Versicherungsschreiben, ein Brief von der Agentur für Arbeit und weitaus mehr Kram, der in einem ordentlichen Schnellhefter besser aufgehoben wäre und sich nicht mal eben zwischen Tür und Angel durcharbeiten ließ.
    Sie stutzte, als zwischen allem ein gelb-blauer Übersetzer auftauchte. Deutsch  – Isländisch, Isländisch  – Deutsch . Das war zu absurd, um Zufall zu sein. Weshalb legte sich ein Ex-Knacki ausgerechnet ein isländisches Wörterbuch zu? Diese Sprache mit den seltsam fremden Buchstaben zu erlernen war doch nichts, was man sich üblicherweise für die Zeit in Freiheit vornahm.
    Wenckes Finger fanden einen länglichen Umschlag, von Hand adressiert – die kleine Druckschrift kam Wencke seltsam bekannt vor und die Briefmarke, auf der eine leuchtend gelbe Narzisse abgebildet war, schien ebenfalls in Norddeutschland abgestempelt worden zu sein. Sobald sie zu Hause war, müsste sie ihre anonymen Briefe als Vergleich danebenhalten. Der Umschlag war oben zerfranst, als sei er ungeduldig aufgerissen worden. Darin lag ein längliches Ticket.
    Das war echt ein Ding! Wencke griff in ihren Rucksack und zog die Unterlagen heraus, die ihr die Kosian eben am Kröpcke überreicht hatte: dieselbe Fluglinie!
    Dieselbe Flugnummer! Flughafen Münster/Osnabrück  – Airport Reykjavik/Keflavik!
    Und beide Male war morgen der Reisebeginn.
    Unglaublich! Fluggast Kosian Reihe 7 Sitz A  – Fluggast Götze Reihe 7 Sitz B!
    Wencke pfiff auf die Vorschriften, steckte das Ticket ein, verließ die Wohnung und zog wie verabredet die Haustür hinter sich zu.
    Das war kein Zufall!
    Das war kein Schicksal!
    Das war in jedem Fall von langer Hand geplant!
    Sie würde morgen Abend Seite an Seite mit Götze Richtung Island fliegen.

Skuld
    [… noch fünf Tage …]
    Vor der Landung werde ich alles von oben betrachten können, aus der Götterperspektive, die grau-grün zerfurchte Erde mit all ihren Wunden, aus denen die Zeit emporsteigt als stinkender Rauch. Ich werde das ebenfalls graue Meer sehen, wie es sich gegen die Küste schiebt und fließende Grenzen setzt.
    Es wird eine Durchsage kommen: Bitte anschnallen, alle elektronischen Geräte ausschalten, den Tisch hochklappen, die Lehne aufrecht stellen. Wenn wir dann durch die Wolken stoßen, wird es uns ein wenig durchschütteln, die Luft über dieser wilden Insel ist stets in Bewegung.
    Ich werde die ganze Zeit über die Nornen in meiner Nähe wissen. Die Schicksalsfrauen werden so dicht bei mir sitzen, dass ich nur meine Hand ausstrecken müsste, um sie zu berühren – doch sie sind ahnungslos.
    Urd, die Gewesene, sie allein kennt die Wahrheit über das, was im Gestern geschah. Verðandi, die Werdende, kann das Heute verändern, wenn sie den Mut dazu hat. Und Skuld, die schuldig Gebliebene, sie ist schon auf der Insel und kann es kaum erwarten.
    Spät am Abend werden wir zur Landung ansetzen und dabei gemeinsam der Sonne entgegenfliegen.
    Es heißt, die ewige Helligkeit mache die Menschen, die daran nicht gewöhnt sind, nervös. Sie warten auf die Nacht, auf das Kommando, endlich die Augen schließen und schlafen zudürfen, aber auf Island warten sie vergeblich. Das macht sie unruhig, mitunter aggressiv. Ich werde nicht darunter leiden. Mir ist der Tag schon immer lieber gewesen und die Aussicht auf Schlaflosigkeit erfüllt mich mit Vorfreude.
    Wenn wir auf dem Boden aufsetzen, sind alle da, wo ich sie brauche. Sie werden sich auf den Weg machen und mir helfen, damit sich das Schicksal endlich erfüllen kann.
    Schon so bald!

Verðandi
    [13. Juni, 6.33 Uhr, Limmer, Hannover, Deutschland]
    Wencke schlief schlecht und als sie dann doch endlich nach fünf Uhr mal am Stück die Augen schließen konnte, klingelte das Handy sie eine Stunde später in die Senkrechte. Es war Götze, sie erkannte ihn sofort an der sächselnden Melodie, auch wenn er seine Sätze recht unmusisch in den Telefonhörer brüllte: »Was fällt Ihnen ein? Sie haben keine Befugnis, in meine Wohnung einzudringen und meine Sachen zu entwenden! Was

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