Götterfall
gestern bereit, in einem Bus zwischen Bahnhof und Lüstringen zur Hauptverkehrszeit mit mir zu reden (Namen lasse ich außen vor, wer weiß, wer mir schon auf den Fersen ist und vielleicht diese Notizen findet, nach dem, was ich heute erfahren habe, halte ich das für absolut denkbar).
Fühlte mich wie eine Agentin – bin ich vielleicht sogar schon. Hat nichts mehr mit Polizeiarbeit zu tun, was ich hier treibe. Sollte es besser lassen. Mach es aber trotzdem. Hab meinen Grund.
Gibt ja auch ein paar, denen ich hoffentlich trauen kann. Wencke und Silvie, Polizeianwärterinnen mit dem Glauben an Gerechtigkeit und das Gute im Menschen, die können da nicht mit drinhängen. Die lassen die Finger von meinen Sachen und halten den Mund, wenn ich andeute, was los ist. Wenn sie mich überhaupt ernst nehmen.
Also, der Typ im Bus, ich hab ihn gleich nach der Formel gefragt. Einfach ins Blaue. Hatte ja keine Ahnung, was F. da angedeutet hat,erklären wollte er mir ja nichts, weil er meinte, ich würde das nicht verstehen, und wahrscheinlich hatte er damit sogar recht. Aber wenn man mit leeren Händen bei einem Informanten auftaucht, muß man eben so tun, als hätte man Ahnung von der Sache. Ich habe also gesagt, F. hätte mir von der Formel erzählt, bevor er verhaftet wurde, das war ja noch nicht mal gelogen.
Der Informant hat daraufhin erzählt, die Kreuma-Werke in Rackwitz seien heißbegehrt. Zur Zeit gäbe es einen Kampf zwischen den Großmächten (echt, er sagte Großmächte, deswegen wohl auch das Agentengefühl) um die Stellung auf dem weltweiten Aluminiummarkt. Russland hat den angeblich weitestgehend in der Hand und macht die Preise kaputt, und Amerika braucht eine günstigere Herstellungsmethode. Es ist wohl wegen des Energieaufwandes schweineteuer, Aluminium zu gewinnen. Deswegen suchen alle nach Lösungen, wie man das besser hinkriegt. Wer billig produziert, ist Marktführer, darum geht’s. Und man vermutet, daß die Leute in Kreuma ganz weit vorn sind bei den entsprechenden Forschungen. Die haben da Topwissenschaftler sitzen. Was die zu DDR -Zeiten entwickelt haben, gehört quasi dem Werk und wechselt beim Verkauf den Besitzer. Deswegen sind jetzt die Megakonzerne aus Ost und West scharf auf eine popelige Firma im tiefsten Sachsen.
Ich sagte auch was, wollte nicht so stumm neben ihm sitzen, hab gefragt, was denn so schlimm daran wäre, wenn die Kreuma-Werke ein Patent oder so haben, so könnte man das schrottreife Aluminiumwerk im Grunde doch, wie es ist, für eine Rekordsumme verticken und alle Arbeitsplätze erhalten.
Naja, da hat er wohl gemerkt, daß ich doch nicht so viel Ahnung habe, den Rest mußte ich ihm förmlich aus der Nase ziehen: Die Treuhand verkauft die Kreuma-Werke trotzdem für einen Schleuderpreis an die Amerikaner, die dort natürlich schon ganz bald die Tore schließen und den Mitarbeitern lapidare Kündigungen schicken werden. Das stinkt doch zum Himmel!
Bis ich das so richtig kapiert hatte, war der Typ schon fast ausgestiegen.Ich habe ihn am Ärmel festgehalten und gefragt, was sie mit Jan Hüffart angestellt haben. Er war sauer, weil ich so einen Zirkus veranstalte in aller Öffentlichkeit. Er hat mir zugeraunt: Entführen – ja! Politische Forderung stellen – ja! Hüffart zur Wahrheit zwingen – ja!
Aber Mord? Nein, nein und nochmals nein.
Das war jemand anderes!
Damit hat er mich im Bus zurückgelassen, kurz vor der Endstation, wo ich einfach sitzen geblieben und wieder zum Hauptbahnhof zurückgefahren bin. Immer mit diesem Satz im Ohr: Das war jemand anderes!
Da dreht sich einem der Kopf. Da erinnert man sich an die Kollegen, die so seltsam waren bei der Verhaftung und beim Verhör. Ich hab doch keinen Verfolgungswahn, ich kann mir auch nicht vorstellen, dass da eine Verschwörung im Gange ist und alle unter einer Decke stecken und so weiter. Das hört sich unrealistisch an. Aber immer wieder frag ich mich: Wenn das jemand anderes war, der Jan ermordet hat, wer kann das gewesen sein? Warum kommt ihm niemand auf die Schliche? Und weshalb schießen die sich alle so auf F. ein? Tja, da kann ich noch so realistisch sein, ich lande schließlich doch bei dem Verdacht, hier in ein Wespennest zu stechen.
Wer sind die? Was haben sie mit dem kleinen Jungen gemacht? Und warum?
Hab mir vorgenommen, Jans Mutter zu besuchen. Sie wird vielleicht verstehen, warum ich so versessen darauf bin, F.s Unschuld zu beweisen. Und sie wird doch auch wissen wollen, wer tatsächlich
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