Götterfall
dahintersteckt.
Denn F. war es nicht. Auf keinen Fall.
D.
Verðandi
[14. Juni, 9.15 Uhr, Internetecke,
Vatnsnesvegi, Keflavik, Island]
»Frau Tydmers? Bitte, der Bus ist schon da, wir warten alle auf Sie!«
Lena Jacobi lehnte am Regal, das die kleine Nische mit dem recht simplen, aber internetfähigen PC vom Rest der Lobby abschottete. »Ich hetze Sie nur ungern, aber wir wollten schon vor einer Viertelstunde aufbrechen und außer Ihnen waren alle pünktlich.«
Wencke blickte vom Bildschirm auf. Da stand also diese langweilige, brave Lena Jacobi, sagte, sie wolle nicht hetzen, und tat es trotzdem. Aber vor allem arbeitete sie für einen Großkonzern, der Aluminium produzierte. Dass Wencke dieser Zusammenhang erst jetzt, nachdem sie Doros vierten Brief geradezu hektisch gelesen hatte, auffiel: Götze hatte damals gegen den Verkauf eines ostdeutschen Leichtmetallbetriebes an eine amerikanische Firma gewettert, weil er Korruption vermutete – und der Ausrichter dieses Symposiums war ebenjener Aluminiumriese, das hatte bereits Wenckes oberflächliche Internetrecherche ergeben. Google offerierte mehr als zweihundert Treffer: Im Sommer 1994 war der Deal zwischen Treuhand und AlumIn-Terra perfekt gewesen, trotz massiver Proteste und mancher Spekulation.
Und das war noch nicht alles. Der Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft bestand aus einer illustren internationalen Runde:amerikanische Industrieexperten, isländische Wirtschaftsbosse, asiatische Millionäre – und ein Deutscher, der vor zwanzig Jahren groß im Politikgeschäft unterwegs gewesen ist und dessen Name stets in einem Atemzug mit Karl Hüffart genannt worden war. Alf Urbich, ehemalige rechte Hand des Parteivorsitzenden und dessen engster Berater.
Genau da lag der Zusammenhang zwischen den Briefen und ihrer Reise nach Island. Schlüssig war das Ganze noch nicht, denn wer hatte nach so langer Zeit noch Interesse daran, diese Schmiergeldaffäre – wenn sie denn eine war – wieder ins Rampenlicht zu rücken? Doro war tot, Götze hatte mit dem Thema abgeschlossen, Silvie blockte vollkommen ab und Karl Hüffart hatte wahrscheinlich komplett vergessen, dass er überhaupt jemals eine Entscheidung getroffen hatte – ob mit oder ohne Korruption machte da auch keinen großen Unterschied.
»Was ist jetzt?«, drängelte Lena.
»Warum ist eigentlich ausgerechnet das LKA Hannover eingeladen worden?«, fragte Wencke, ohne sich nur einen Millimeter von dem kleinen Hocker zu erheben. Dieser Gedanke quälte sie: Wenn sie nur nach Island gelockt worden war, weil hier eine Geschichte zu Ende erzählt werden sollte, dann bedeutete das im Umkehrschluss, dass der Brand in Tilda Kosians Haus nicht zufällig gelegt worden war. Jemand wollte Wencke, und zwar nur sie. Und dieser jemand war bereit, bis zum Äußersten zu gehen, Leben zu riskieren, Schicksalstheater zu inszenieren. Wencke schien dabei eine Hauptrolle zugewiesen worden zu sein. »Die meisten Teilnehmer sind Politiker, Wissenschaftler oder Wirtschaftsexperten. Ich scheine die einzige Person im Polizeidienst zu sein. Was erwartet Ihre Firma sich davon?«
Lena zuckte mit den Schultern. »Da fragen Sie was. Soweit ich weiß, hat Dr. Yngvisson die Teilnehmer zusammengestellt.«
»Wer ist das?«
»Er leitet die Abteilung für Öffentlichkeit. Heute Abend moderiert er die Eröffnung in der Hallgrimskirkja und wird im Laufe des Tages zu uns stoßen, da haben Sie Gelegenheit, ihm Ihr Anliegen vorzubringen.«
»Genau das werde ich auch tun«, sagte Wencke.
[14. Juni, 14.50 Uhr, Hegningarhúsið, Skólavördustigur 9,
Reykjavik]
Wenn du im Knast hockst, ist es scheißegal, ob der in Deutschland oder Island steht. Es macht dich wahnsinnig. Die Wände rücken von Minute zu Minute enger zusammen, bis sie deine Seele zerquetschen. Die Stille wird lauter und lauter, die Dunkelheit beginnt dich zu blenden, die Kälte der Zelle schmort dich auf höchster Stufe, bis du völlig gar bist.
Frankie hatte viel Zeit gehabt, Worte zu finden, die das Grauen der Gefangenschaft beschreiben. Lyrik für Knackis, Freiheitsentzug poetisch verkleidet. Vor ein paar Wochen hatte er noch gedacht, diesen ganzen Mist vergessen und endlich neues Vokabular benutzen zu dürfen. Falsch gedacht.
Zwar war das Untersuchungsgefängnis in Reykjavik ziemlich klein und in einem fast malerischen Steinhäuschen mitten in der City untergebracht, aber wenn man drinsaß, konnte man sich dafür auch nichts kaufen.
Der Anwalt, den sie ihm hier an die
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