Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Götterfall

Götterfall

Titel: Götterfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
Vom Netzwerk:
Seite gestellt hatten und der ein ziemlich mieses Deutsch sprach, hatte vorhin gefragt, ob er es nicht bereue, im Flugzeug ausgerastet zu sein. »Du makst Fehler, du sagst, du makst Fehler, hast verstehen, du sagst Entschuldigung, dann frei vielleikt. Gut Deal?« So einen Müll hatte der erzählt, aber bloß Frankies Schweigen kassiert.
    Nein, er bereute es nicht und es gab ja nichts, wofür er sich hätte entschuldigen müssen. Im Knast hatte er gelernt, großzügigzu sich selbst zu sein. Nur so hältst du es aus, wenn du unschuldig drinhockst und ahnst, dass du damals einfach zu blöd gewesen bist und schlichtweg verarscht wurdest. Da musst du dir verzeihen und sagen, drauf geschissen, so bin ich nun mal, Ende.
    So erklärte Frankie sich auch diesen Ausraster im Flieger: Das war zu viel, den Hüffart vor sich sitzen zu haben und seinem Geplärre zuhören zu müssen von wegen er wolle mit Jan spielen. Da hätte er nie im Leben cool bleiben und die überschminkte Stewardess womöglich nach einem zollfreien Eau de Toilette für den sportiven Mann fragen können. So abgewichst war er eben nicht.
    Jetzt saß er seit einer Stunde in einer Zelle und wartete, weil sein Anwalt die Sache mit dem Heimflug klären wollte. Der Urlaub auf Island war also beendet, bevor er begonnen hatte. Das tat verdammt weh. Das war eigentlich das Schlimmste. Da zuckte dann doch manchmal ein kurzes Gefühl von Reue durch Frankies Hirn. Er hätte jetzt auf einem Islandpferd über moosige Felder reiten oder mit einem Geländewagen ins Hochland fahren können. Diese Chance auf Freiheit hatte er sich verscherzt, das war bitter.
    Das Schließsystem öffnete sich und neben dem Anwalt standen zwei Justizangestellte in Uniform, glotzten ihn an, als wären sie enttäuscht, dass er sich nicht zwischendurch an seinem Gürtel aufgeknüpft hatte. Dann müssten sie jetzt nicht den Rücktransport organisieren.
    Aber Frankie war kein Selbstmörder. All die Jahre hatte er diese Möglichkeit des schnellen Abgangs für sich ausgeschlossen. Obwohl er den besten Grund dazu gehabt hätte. Aber Suizid? Nein, das hätte wie ein Geständnis gewirkt. Den Gefallen tat er ihnen nicht. Der Gedanke, dass er irgendwann mit über achtzig im Seniorenknast das Zeitliche segnen würde, ohne je den Mord an Jan Hüffart zugegeben zu haben, dieser Gedankewar lange Jahre eine Genugtuung gewesen. Sie würden ihn nicht brechen. Niemals. Das Urteil, das man über ihn gefällt hatte, war grundfalsch. Er war unschuldig.
    Doch dann war vor einem guten Jahr ein Brief gekommen, der alles geändert hatte. Ein handbeschriebener Umschlag in seiner mageren Gefängnispost. Zwei Seiten Tinte auf Büttenpapier und ein Foto. Plötzlich war ihm seine inzwischen in Fleisch und Blut übergegangene Zukunftsversion in all ihrer Tristesse bewusst geworden und Frankie hatte wieder angefangen, sich für das Leben draußen zu interessieren. Es machte einen Sinn, für die Freiheit zu kämpfen. Zwei Entlassungsgesuche nach vierzehn und sechzehn Jahren wurden abgeschmettert, bei politisch Motivierten sind sie immer schon eisenhart gewesen. Da hatte er es irgendwann aufgegeben. Bis dieser Brief kam und Frankie wieder die Kraft für Hoffnung in sich gespürt hatte, erneut alle diese Antragsformulare auszufüllen und den Gutachtern Rede und Antwort zu stehen – dieses Mal mit Erfolg. Seine Bewährungsauflagen, denen er nun fünf Jahre lang Folge zu leisten hatte, waren zwar streng, aber immerhin durfte er reisen. Hätte ihm vor diesem Brief jemand erzählt, dass er irgendwann mal nach Island fliegen würde, er hätte sich totgelacht. Aber jetzt war er da.
    »Mister Gotze«, sagte der Anwalt. »Wir haben Gluck, keine Anzeige von Airline. Also Sie fliegen nak Hause und dort kein Gefangnis.«
    »Toll!«, lobte Frankie ironisch.
    »Aber wiktig: Sie fliegen heute.«
    »Kein Problem.«
    »Wir bringen jetzt Airport, da haben Sie Begleitung bis Deutschland. Und kein Gewalt in Flugzeug, ja?«
    »Klar.«
    Der Anwalt reichte ihm die Hand und verabschiedete sich. Man sah ihm an, dass er ein Typ war, der lieber in diesen modernenCafés saß, wo man alles bekommen konnte außer einer stinknormalen Tasse Filterkaffee. Und wahrscheinlich hatte er einen tragbaren Computer dabei, an dem er seine anderen, viel wichtigeren Fälle nebenbei bearbeiten konnte. Kein Zweifel, dieser Anwalt war froh, von hier zu verschwinden, seine Welt war das nicht. Wahrscheinlich war für ihn der Name Frank-Peter Götze vergessen, noch bevor er seine

Weitere Kostenlose Bücher