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Götterfall

Götterfall

Titel: Götterfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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Milchschaumplörre bezahlt hatte.
    Die Justizangestellten schauten Frankie dabei zu, wie er seine Sachen zusammenpackte. Zahnbürste und Schuhe, viel hatte er ja ohnehin nicht aus dem Koffer geholt. »Wann bekomme ich meine Zigaretten zurück?«, fragte er. Doch die beiden sprachen kein Deutsch und er konnte kein Englisch. »Zi-ga-ret-te?« Mensch, das Wort war doch überall geläufig.
    Der Kleinere der beiden hob eine Plastiktüte hoch, darin erkannte Frankie die Dinge, die man ihm heute Nacht abgenommen hatte, unter anderem den Tabakbeutel. Der Typ machte keine Anstalten, den Kram zu überreichen.
    Frankie bemerkte, dass sie ungeduldig wurden, abwechselnd auf die Uhr schauten, miteinander sprachen und ihn dann auffordernd ansahen. Das alles veranlasste ihn, noch langsamer zu werden. Doch irgendwann war dann eben alles verpackt und ihm blieb nichts anderes übrig, als seine Arme auszustrecken, damit sie die Handschellen anlegen konnten, danach trottete er hinter ihnen her bis zum Transporter, der am Hinterausgang wartete. Eine Art Jeep, kastig und groß, man sollte fast meinen, der würde es gar nicht schaffen, in diesen schmalen Straßen um die Ecke zu biegen.
    Die Sitze waren unbequem und man saß mit dem Rücken zum Fenster, was stets Übelkeit bei ihm auslöste. Schon als Soldat im Grundwehrdienst der NVA hatte Frankie die Kotztüten gefüllt, wenn sie im Horch P3 unterwegs gewesen waren, einem ganz ähnlichen Vehikel wie diesem hier. Irgendwann hatte er sichdann als Fahrer zur Verfügung gestellt, dann war es besser gewesen. Er hielt die Luft an, manchmal half das. Sie fuhren ein wenig bergauf, die Straße war schlecht gepflastert, man hörte das Ächzen der Stoßdämpfer. Die erste Kurve war Maßarbeit, dann wurde es etwas breiter links und rechts. Sie befanden sich allem Anschein nach mitten in einer Schickimicki-Einkaufsstraße. Frankie sah die ganzen Weiber mit ihren Shoppingtaschen zwischen nicht weniger beladenen Touristen hindurchhuschen. Überall Werbung für Fischrestaurants, Messer und Gabel und die Umrisse von Blauwalen, die man in Island anscheinend verspeisen durfte. Sein Magen schlug Alarm und Frankie schloss kurz die Augen. Wie viele Stunden musste er das hier durchhalten?
    Er hatte keine Erinnerung mehr daran, wie lange sie in der letzten Nacht gefahren waren, wie weit es vom Flugplatz zum Untersuchungsgefängnis gewesen war. Seine Begegnung mit Hüffart hatte einen kompletten Filmriss verursacht.
    Er erinnerte sich noch haargenau an Silvie und ihr hysterisches Kreischen, an Wencke, die in seiner Umklammerung so erstaunlich cool geblieben war, an den Flugbegleiter, dem er, wenn er gewollt hätte, mit einem gekonnten Griff mühelos das Genick gebrochen hätte. Aber der Moment, in dem er Karl Hüffart ins Auge geblickt hatte, hatte in seinem Gedächtnis einen blinden Fleck hinterlassen. Was war passiert? Was hatte ihn so plötzlich außer Gefecht gesetzt? Tickte er seitdem nicht mehr ganz richtig?
    Frankie blickte auf, schaute geradeaus, sah draußen auf dem Hauptstadtpflaster eine Menge Leute und doch niemanden so richtig – bis da diese Gruppe neben dem Ententeich stand. Ungefähr dreißig Leute, alle schick angezogen, lauschten der Fremdenführerin, die ihm den Rücken zugekehrt hatte.
    Er zuckte zusammen. Das mussten sie sein!
    »Hey!«, sagte der Uniformierte neben ihm, der wohl keinFan von ruckartigen Bewegungen war. Von den Ermahnungen verstand Frankie kein Wort. Die waren ihm auch egal. Sie hielten an einer Ampel und ihm blieb Zeit, aus dem Fenster zu schauen und die Gruppe zu beobachten. Kein Zweifel, der Mann im Rollstuhl musste Hüffart sein, er stand etwas abseits und wirkte desinteressiert, soweit man das aus dieser Entfernung beurteilen konnte. Daneben diese fette Matrone, zu der Silvie mutiert war. Wencke war sicher auch irgendwo in diesem Haufen versteckt, er konnte sie nicht ausmachen, was nicht schlimm war, denn seine ungeteilte Aufmerksamkeit gehörte eigentlich jemand anderem. Einer Person, die er erst ein Mal zuvor gesehen hatte und die etwas in ihm auslöste, schlimmer als Übelkeit und besser als Wut. Sein Herz schlug heftig. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann er es überhaupt einmal so hatte schlagen hören. Und die Ameisen tanzten wieder auf der Haut. Raus hier! Sofort!
    Doch auch wenn er die Gewissheit verspürte, mit dieser plötzlichen Energie alle Ketten der Welt sprengen zu können, als wären sie aus Glas, saß er ultimativ fest in diesem Auto. Sie fuhren

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