Götterfluch 1 - Der Geraubte Papyrus
inneren Auge nicht verdrängen.
Um einen solchen Massenmord zu planen und auszuführen, bedurfte es genauester Vorbereitung. Ganz offensichtlich handelte es sich nicht um die Tat eines Wahnsinnigen, und es mussten mehrere Personen daran beteiligt gewesen sein. Allein konnte der junge Schreiber keine Nachforschungen anstellen, also wollte er gemeinsam mit Demos, der vielleicht mehr wusste, zu den Wachen gehen.
Sein griechischer Freund war bestimmt zu Hause, krank oder bewegungsunfähig. Oder er hatte die Angreifer gesehen und musste sich verstecken.
Kel beeilte sich, zu der Behausung von Demos zu gelangen, einem kleinen weißen Haus mitten in einem einfachen Stadtviertel. Von seinem Vorgesetzten und den erfahrenen Schreibern hochgeschätzt, hatte der Grieche bereits einen wichtigen Posten inne und sollte schon bald eine Abteilung des Übersetzeramts leiten. Außerdem war Demos ein leidenschaftlicher Verehrer der alten Schriften und schätzte Sais sehr – nicht zuletzt wegen seiner ausgezeichneten Weine. Manchmal konnte er sich nicht mäßigen und trank sich einen Rausch an. Hätte sein Vorgesetzter davon erfahren, hätte er ihn auf der Stelle entlassen.
Kel eilte durch den kleinen Innenhof. Links war die Küche, die sich zum Teil im Freien befand. Weil Demos meistens im Gasthaus aß, benutzte er sie kaum. Der Raum war aufgeräumt und vollkommen sauber. Rechts davon betrat man den Wohnraum.
Der junge Schreiber klopfte.
Keine Antwort.
Er klopfte noch einmal.
»Ich bin es, Kel. Du kannst ruhig aufmachen.«
Er wartete lange.
Dann stieß Kel die Tür auf. Der hölzerne Riegel war nicht vorgeschoben gewesen.
Plötzlich rechnete er mit dem Schlimmsten. Was, wenn die Mörder Demos bis hierher gefolgt waren?
Das kleine Wohnzimmer war leer. Kein Durcheinander. Nur drückende Stille.
Der junge Mann betrat das Zimmer. Da gab es ein gemachtes Bett, eine Wäschetruhe, ordentlich zusammengelegte Kleider auf einem niedrigen Tisch, zwei Öllampen, einen Papyrus mit dem Titel Die Abenteuer von Sinuhe. Demos las gern vor dem Einschlafen.
Kel öffnete die Truhe und schaute unter das Bett.
Nichts.
Jetzt blieb nur noch der Keller, in dem der Grieche guten Wein in Fässern gelagert hatte.
Sie waren unversehrt und schienen auf seine Rückkehr zu warten.
Schließlich nahm sich Kel die Wohnung ein zweites Mal vor in der Hoffnung, irgendeinen Hinweis auf Demos' Verbleib zu finden.
Doch die Mühe war vergeblich.
Als er das Haus gerade verlassen wollte, trat ihm ein kräftiger Mann in den Weg.
Kel fuhr zurück und versuchte sich einzusperren, aber eine starke Hand packte ihn am Handgelenk.
»Was treibst du hier, Bürschchen?«
»Ich … Ich wollte meinen Freund Demos besuchen.«
»Du bist doch nicht etwa ein Dieb?«
»Nein, ich schwöre es!«
»Wenn Demos dein Freund ist, musst du seinen Beruf kennen.«
»Er ist Schreiber, genau wie ich.«
»Schreiber, Schreiber, das reicht mir nicht. Von denen gibt es Tausende. Werde etwas genauer.«
»Das geht nicht.«
»Wie? Was soll das heißen?«
»Wir sind zum Schweigen verpflichtet.«
Der Mann verzog sein Gesicht zu einem spöttischen Grinsen.
»Geh vor, ich will mich selbst überzeugen, ob alles in Ordnung ist und du nichts gestohlen hast.«
Kel zögerte. Wollte ihn der Kerl vielleicht töten, vor neugierigen Blicken geschützt?
Nun stieß er ihn grob ins Haus zurück.
»Du kannst dich nicht wehren, stimmt's? Ein echter Schreiber eben, der mit dem Kopf lebt und seine Fäuste vergessen hat.«
»Deine Gewalt führt jedenfalls nur zu Ungerechtigkeit.«
»Ich halte nichts von großen Worten …«
Misstrauisch untersuchte der Mann die beiden Zimmer.
»Es fehlt nichts. Aber jetzt werde ich dich durchsuchen.«
Kel zeigte ihm seine Palette und den verschlüsselten Papyrus.
Das war der Augenblick der Wahrheit.
Gehörte der Kerl zu der Mörderbande, würde er sein Opfer töten, um an das Schriftstück zu gelangen.
»Behalte deine Schätze, Schreiberling. Ich kann nur ein paar Wörter lesen und schreibe nie.«
»Wer seid Ihr denn?«
»Ich bin der Wäscher von diesem Viertel. Die ägyptischen Frauen weigern sich, diese anstrengende Arbeit selbst zu machen. Das ist zwar nicht immer ein angenehmer Beruf, aber ich bin angesehen und verdiene gut. Demos hat mir seine Wäsche anvertraut. Ein anspruchsvoller Kerl, der immer gut gezahlt hat. So einen Kunden verliert man nicht gern.«
»Verlieren … Warum sagt Ihr das?«
»Weil er gestern Abend abgereist ist.«
»Gestern
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