Götterschild
zeichnete sich immer klarer ab, dass ihm nichts anderes übrig bleiben würde, als zu kapitulieren. Diese Schlacht musste er verloren geben und dabei wusste er nicht einmal genau, was sein Fehler gewesen war.
Endlich hatten sie den Bach erreicht und Selira tauchte ihren Eimer ins Wasser. »Sag mal«, begann sie von Neuem zu sprechen, nachdem sie das schwere Gefäß vor sich auf dem Boden abgestellt hatte, »wo ist denn dieses Seewaith eigentlich?«
Rai war froh darüber, dass sie solch ein unverfängliches Thema anschnitt. »Im Nordwesten«, antwortete er so unbeschwert wie möglich. »Es grenzt an Nordantheon, soweit ich weiß.«
»Und ihr fahrt doch sicher mit dem Schiff dahin, oder?« Sie blickte ihm forschend ins Gesicht, was dazu führte, dass Rais Herz in raschen Galopp verfiel.
»Ja«, erwiderte Rai und verkniff sich den Hinweis, dass man von einer Insel aus an jeden anderen Ort mit dem Schiff fahren musste. »Sobald wir eine Mannschaft angeheuert haben, kann es losgehen«, fügte er hinzu, um zu betonen, dass er tatsächlich in Kürze fort sein würde.
»Fährt dieses Schiff dann auch an der Küste Etecrars vorbei?«, erkundigte sich Selira gespannt.
»Ich denke schon.« Warum wollte sie denn das alles wissen, fragte sich Rai verwundert.
»Meinst du«, forschte Selira weiter, »dass ihr dort einen kurzen Zwischenhalt einlegen könntet?«
»Wieso denn?« Rai verstand nicht, auf was sie hinauswollte.
Seliras Blick wanderte zu Boden. »Weil ich in Etecrar von Bord gehen möchte.«
»Was?« Der junge Tileter war schockiert. »Du willst mitfahren?«
»Genau das«, bestätigte Selira unbeirrt. »Ihr müsst mich nur bis Etecrar mitnehmen, dann werde ich euch nicht mehr zur Last fallen.«
Rai kochte innerlich. Das durfte doch wirklich nicht wahr sein. Seit über einem Jahr versuchte er die Xelitin davon zu überzeugen, zumindest zeitweise an der Oberfläche der Insel zu leben, und nun verließ sie ihre geliebten Höhlen, nur um nach Etecrar – also unendlich weit fort von ihm – zu fahren.
»Aber was willst du denn da?«, verlangte Rai energisch nach einer Erklärung und hoffte gleichzeitig, dass sie den leicht verzweifelten Unterton in seiner Stimme nicht mitbekommen würde. »Und was ist mit den anderen Xeliten? Werden die nicht etwas dagegen haben? Mir hast du immer erzählt, du würdest nicht gegen ihren Willen die Mine verlassen.«
Selira nickte bedrückt. »Das wird auch nicht leicht«, räumte sie ein, »aber ich muss diese Gelegenheit nutzen, um meine Heimat wieder zu sehen. Wie ich dir ja schon erzählt habe, komme ich aus einem kleinen Dorf an der Küste von Etecrar, es heißt Nalesch. Und das möchte ich gerne besuchen.«
»Aber … aber …« In Rais Kopf überschlugen sich die Gedanken. »Du warst doch noch ein Kind, als du nach Andobras gebracht wurdest. Wirst du dein Heimatdorf überhaupt wieder finden? Und wenn du dort bist, was willst du dann machen? Und wie kommst du wieder zurück, wenn wir weiter nach Seewaith gefahren sind? Oder willst du etwa dort bleiben?«
»Lass das mal alles meine Sorge sein«, entgegnete sie abweisend und ergriff wieder den wassergefüllten Eimer. »Ich bitte dich nur darum, mich mit eurem Schiff nach Etecrar zu bringen. Mehr musst du nicht für mich tun.« Damit machte sie sich schwer beladen auf den Rückweg zum Turm und ließ Rai einfach stehen.
Der kleine Tileter starrte eine Weile vor sich hin und barg dann sein Gesicht in den Händen. Es war zum Verzweifeln. Warum musste er sich ausgerechnet in das unnahbarste und streitlustigste Mädchen von ganz Andobras verlieben? Wenn diese unablässigen Auseinandersetzungen nun die ganze Fahrt von Andobras nach Etecrar so weitergingen, dann würden sie sich eher gegenseitig an die Gurgel gehen, als sich endlich etwas näher zu kommen. Und sobald sie dort angekommen waren und Selira abgesetzt hatten, würde er sie vielleicht nie wieder sehen. Das waren wahrlich keine rosigen Aussichten.
WÖLFE DES HIMMELS
E s stellte sich als gar nicht so einfach heraus, eine geeignete Mannschaft für die Fahrt nach Seewaith zu finden. Die wenigsten Matrosen, die den Hafen Andobras anliefen, waren daran interessiert, auf einem anderen Schiff anzuheuern, schon gar nicht auf einem ehemaligen Segler der andobrasischen Priesterschaft. Selbst wenn die Flagge des Cittempels nur zur Tarnung am Mast bleiben sollte, wollte niemand unter diesem Banner in See stechen. Denn die viergöttliche Kirche und ganz besonders die
Weitere Kostenlose Bücher