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Götterschild

Titel: Götterschild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Rothballer
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versuche nicht, ihr deine Sicht der Dinge aufzudrängen. Lass sie ihre eigenen Entscheidungen fällen, auch auf die Gefahr hin, dass sie sich gegen dich und für ihren Glauben entscheidet.«
    »Aber das schließt sich doch nicht aus«, protestierte Rai. »Ich würde doch nie von ihr verlangen, ihren Glauben an Xelos aufzugeben.«
    Barat nickte verständnisvoll. »Und genau das solltest du ihr auch sagen – das versteht sich nämlich nicht von selbst. Du musst ihr zeigen, dass hinter deiner ungehobelten Fassade und deinem vorlauten Mundwerk ein kluger, mitfühlender und verantwortungsbewusster junger Mann steckt.«
    Rai rollte mit den Augen. »Bei dir hört sich selbst ein Kompliment irgendwie tadelnd an.« Er fuhr sich durch seine wirr abstehenden Haare. »Na gut, dann gehe ich eben zu ihr, ist ja eigentlich nichts dabei.« Er schluckte. »Und wo soll ich mit ihr hingehen für den Fall, dass sie einem Treffen tatsächlich zustimmt? Wir können ja schlecht zusammen durch die Schmiedesiedlung spazieren.«
    »Wandere doch mit ihr auf einen der nahen Berge«, empfahl Barat. »Du kannst ihr die wunderbare Aussicht über Andobras zeigen und vielleicht ergibt sich dann eine geeignete Möglichkeit, ihr deine Gefühle zu offenbaren.«
    »Gut, das werde ich machen.« Rai sah alles andere als zuversichtlich drein. Er blickte Barat prüfend an. »Warst du schon mal … so richtig …«
    »… verliebt?«, vollendete der Veteran die Frage. »Ja, schon das eine oder andere Mal.«
    »Und?«, bohrte Rai gespannt nach.
    »Es war schön«, sagte Barat schlicht. »Aber meistens auch ziemlich kurz.«
    »Wirklich? Warum?«
    Barat seufzte. »Weißt du, als Soldat kommt man zwar viel rum, aber länger bleiben kann man nirgends. Das wollen die meisten Frauen nicht akzeptieren. Ist ja auch verständlich, dass sie nicht immer nur darauf warten wollen, bis man mal wieder zufällig mit seiner Truppe nahe ihres Heimatortes vorbeikommt und für ein paar Tage Freigang erhält.«
    »Dann hättest du dir vielleicht eine Frau in deiner Einheit suchen müssen«, überlegte Rai.
    »Ja, das habe ich auch gemacht.« Barat lächelte wehmütig. »Aber es gab nicht viele Frauen in unserer Kompanie und dass eine davon mich zu ihrem Gefährten erwählt hatte, führte zu viel Neid und Missgunst unter meinen Kameraden. Deswegen hielt es auch nicht lange.«
    »Das tut mir leid«, erwiderte Rai betroffen.
    »Kümmere du dich lieber um deine eigenen Liebschaften und versuch, es besser zu machen als der alte Barat.« Der Veteran setzte ein strenges Gesicht auf. »Worauf wartest du denn noch?«
    Rai blinzelte ihn überrascht an. »Wie, jetzt gleich?«
    »Ja, sicher«, gab Barat zurück. »Denk nicht lange darüber nach, sonst quälst du dich nur. Tu es einfach.«
    Rai holte tief Luft, murmelte ein »Na gut« und lief los.
    Barat sah ihm mit einem milden Lächeln hinterher. Der junge Rai ließ ihn manchmal bedauern, dass er sich nicht irgendwo mit einer Frau an seiner Seite zur Ruhe gesetzt und selbst eine Familie gegründet hatte. Es stand außer Zweifel, dass ihm Rai sehr fehlen würde, wenn dieser sich auf seine Reise nach Seewaith begab. Ganz ähnlich muss sich wohl auch ein Vater fühlen, wenn die Kinder ihr Zuhause verlassen, um in die Welt hinauszuziehen, dachte er wehmütig.
     
    Rai stand unschlüssig vor dem Wachturm am Eingang zu Andobras’ Mine. Wegen der schweren Schäden durch das Feuer, das bei der Eroberung des Gebäudes ausgebrochen war, hatte die Mauer im oberen Drittel abgetragen werden müssen. Um die Wachposten dennoch gegen die ausgiebigen Regenfälle der Insel zu schützen, war der Turm notdürftig mit einem hölzernen Dach versehen worden. Auf diese Weise gekürzt, wirkte der Wehrturm nun jedoch regelrecht untersetzt. Eigentlich hatte er keine Ähnlichkeit mehr mit einem Turm, sondern sah aus wie ein kreisrundes, einstöckiges Haus ohne Fenster, das nicht gerade einladend wirkte.
    Doch die baulichen Veränderungen des Turmes waren Rai im Moment vollkommen gleichgültig. Sein Verstand kreiste einzig und allein um sein Vorhaben, Selira um ein privates Treffen zu bitten. Was für eine irrwitzige Idee! Seine Handflächen waren so feucht, dass er sie alle paar Augenblicke an seiner Hose abwischen musste. Er kaute nervös auf seiner Unterlippe herum und konnte nicht einen Moment am gleichen Fleck stehen bleiben.
    Das ist nur ein Mädchen, Rai!, versuchte er sich gut zuzureden. Warum machst du dich so verrückt? Das wird schon klappen – also

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